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«Wandzeitung» vom 7.1.2015:

Russland kann nach 75 langen Jahren Diktatur nicht spontan Demokratie spielen:

Respekt vor einem fremden Bruder.

Manchmal sollte der Mensch seinen Blickwinkel auf eine öffentliche Person verschieben, die Urteile und Vorurteile gegen sie aus neuer Warte überlegen, zumal unsere Optik weitgehend mediengesteuert ist. So geht’s mir spontan durch den Kopf, dass die öffentliche Meinung über Wladimir Wladimirowitsch Putin in Stein gemeisselt ist. Dabei hätte er durchaus mein Zwillingsbruder werden können. Er wurde am 7. Oktober 1952 um 9 Uhr 30 in Sankt Petersburg geboren, während ich läppische 194 Stunden und 20 Minuten vorher überrascht aus dem Kantonsspital Winterthur guckte. Beide sind wir im Erwachsenenalter hundertsiebzig Zentimeter über die Erdoberfläche gewachsen. Und wir Zwei reden fantastisch deutsch, ich allerdings verstehe nur ein russisches Wort: nastrovje! Ja, ich trinke ... nicht in grossen Mengen, aber ganz gerne. Er mag Alkohol nicht. Politisch brachte ich es bis zum SP-Gemeinderat, während er zweimal zum Präsidenten des grössten Landes der Welt gewählt wurde.

Wir sind zwei Herbstkinder und aus der astrologischen Warte Waagemenschen, die gern das Schöne und das Gute sehen, Spiegelung brauchen und Freunde wie Beziehungen. Die beiden waagrechten Linien im Sternzeichen versinnbildlichen das Gemeinsame, das Abwägen, das ausgleichende Prinzip. Die Waage ist die geborene Schiedsrichterin, ihr Geist steht im Kreis in der Mitte und ist unbeeinflussbar. Aus dieser Position wägt sie ab. Es braucht auf dieser einen Welt indes auch unbedingt die Kräfte aller anderen Menschen und unterschiedlichste Pole sowie ein selbstbestimmtes friedliches Neben- und Miteinander.

Nach 75 Jahren russischer Diktatur kann keine Einzelmaske die Demokratie herzaubern. Die derzeitigen Ost-West-Beziehungen erinnern indes an die Atmosphäre des Kalten Krieges – behaupten deutsche Journalisten – und die russische Wirtschaft wächst nicht mehr, der Rubel-Kurs und die Ölpreise fallen. Doch die Popularität des Präsidenten hält sich auf Rekordniveau, die Patriotismuswelle ist trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten stark. Während Putins alljährlicher Rede zur Lage der Nation bedankte sich der Kreml-Chef beim russischen Volk für die grosse Solidarität: «In diesem Jahr gingen wir gemeinsam durch Bewährungsproben, die nur eine reife und in sich verbundene Nation meistern kann – als souveräner und starker Staat.» Zudem betonte er, dass die ukrainischen Halbinsel Krim für die Russen die gleiche Bedeutung habe, wie der Tempelberg in Jerusalem für Juden und Muslime. Denn in der Krimstadt Chersones wurde im 10. Jahrhundert der russische Grossfürst Wladimir getauft. Deshalb befinde sich auf der Krim «die spirituelle Quelle der Formierung einer vielfältigen, aber monolithischen russischen Nation.»

Und ja, ich denke Sanktionen bringen viel: Schaden. Man braucht dem Mann, der mein Bruder sein könnte, nur auf Augenhöhe zu begegnen, ihn schlicht und einfach ernst zu nehmen, mit seiner persönlichen Geschichte und derjenigen Russlands. Allein konstruktives Denken, Respekt und Verständnis verbinden die Welt. Unser FDP-Aussenminister Didier Burkhalter hat den einzig richtigen Weg vorgezeichnet, den diplomatischen. Ihm gebührt Respekt und Dank.

 

 

 


Guido Blumer,
7.1.2015, 114. Jahrgang, Nr. 7.

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