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«Wandzeitung» vom 15.8.2015:

EIN SATZ:

Es tanzt der Tanztee in den Tassen.

Trübe Tassen. URSPRÜNGLICH JIDDISCHE REDEWENDUNG.

Diesmal geht es nicht wie unlängst um das Tanzen, auch wenn der Titel, der aus einem Hörspiel über ein Kurorchester stammt, es vermuten lässt. Zum Sommerferienabschluss kein Tanz, sondern ein Versuch über die Tasse. Sie hält beinahe einen Rekord als übertragener Begriff für geistige Mängel. Auch wenn wir, was man früher aus Tassen trank, längst aus Mugs und Bicchieri trinken, tun wir dem Geschirr Unrecht. Die trübe Tasse ist nur schon ein logisches Unding, weil ja nicht die Tasse trüb ist, sondern der Inhalt. Die meisten Tassen sind undurchsichtig. Und wo sie aus chinesischem oder Meissner Porzellan sind, und der Inhalt durchschimmert, ist das noch lang keine Trübung, in der wir fischen könnten. Selbst Martin Walser verfällt der falschen Logik, indem er seinen Privatdetektiv vom nördlichen Ufer des Bodensees Tassilo nennt. Tassilo S. Grübel ist nicht besonders findig, sondern begeht die Delikte gegen die schwäbische Crème de la Crème gleich selbst, mit deren Aufklärung er anschliessend von ihr engagiert wird. Auch hier ist die Flüssigkeit trübe und nicht das Gefäss. Und der Espresso trotz Involvierung der Crème ohne crema. Etwas kompensiert wird der herabsetzende Vorname durch den Familiennamen Grübel, der die intellektuelle Seite betont. Wenn auch durch Grübeln allein die Lösung des Problems nicht zwingend ist, schon gar nicht bei Tassilo. Und, nein, es geht um keinen prominenten Manager, die Geschichten stammen von vor 1989.

Tassilo tut, was unsern Arbeitsalltag prägt: Nicht der Erfolg ist geschuldet, sondern die Präsenz. Wir werden nach Zeit bezahlt und nicht nach dem, was wir in dieser Zeit erreichen. Und Tassilo erreicht nichts ausser der Erzielung eines Honorars. Was natürlich wiederum nicht nichts ist. Die Erfolglosigkeit unterstreicht Walser mit dem Mittelinital. So einen haben ja nur Amerikaner, welche die kulturelle Mittelmässigkeit zur weltweiten Leitkultur gemacht haben. Allenfalls Nichtamerikaner, die mit einem zweiten Vornamen gesegnet oder bestraft sind. Und last but not least jene, welche den zusätzlichen Buchstaben zur Aufwertung ihres Namenszugs nötig haben. Noch ungerechter für unsere arme Tasse wird es, wenn wir das Fehlen eines Exemplars im Schrank bemängeln. Meist kann man nichts für die Abwesenheit eines andern. So fühlen wir Anwesenden uns regelmässig sehr angesprochen, wenn an einer Sitzung die unentschuldigte Absenz derer, die nicht da sind und es nicht hören können, obschon es sie anginge, beklagt wird. Bei fehlenden oder trüben Tassen ist übrigens nicht die Inkompetenz allein das Problem. Nur in Kombination damit, dass der Betroffene die Inkompetenz nicht bemerkt, wird's wirklich übel. Und das ist der Regelfall. Fähigkeit zur Selbstkritik würde unser soziales System unterminieren. Nicht die Gesellschaft, aber die Tasse wird dadurch rehabilitiert, dass ein noch stärkeres Bild für die herrschenden geistigen Zustände einem andern Geschirr vorbehalten ist. Eine Tasse kann in bildlicher Gestalt nämlich keinen Sprung haben.


Adrian Ramsauer,
15.8.2015, 114. Jahrgang, Nr. 227.

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