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«Wandzeitung» vom 20.1.2015:

Ich mache jetzt eine Pause:

Auszeit vom Alltagsstress.

Die Möglichkeiten und Freiheiten meines Studentenlebens ziehen mich für einige Monate in die Ferne, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wenn ich davon erzähle, werde ich meist gefragt: «Und, was machst du dann dort? Du besuchst schon eine Sprachschule, oder?» – «Ja, klar.» – «Aha, eben. Also dann aber schon eine mit anerkanntem Diplom?» – «Äh nein, ich hab mich bei der Schule eigentlich vor allem angemeldet, damit ich mich weniger rechtfertigen muss für die drei Monate Urlaub.»

Darauf folgt dann meistens ein etwas irritiertes Auflachen, das eine Richtigstellung erwartet. Etwas wie: «Nein, war nur Spass. Die Sprachschule mache ich natürlich hauptsächlich für mein berufliches Weiterkommen, das verlangte Englisch heutzutage wird ja auch immer professioneller. Und im CV macht sich ein Auslandaufenthalt mit Sprachdiplom schliesslich auch nicht schlecht.» Das sage ich aber nicht. Nie. Ich verreise nämlich nicht für drei Monate, damit es später in meinem CV steht. Ich verreise, weil es möglich ist. Weil die Welt gross ist, und spannend, und so viele verschiedene Facetten hat. Weil ich im Alter auf die Frage, was ich in meinem Leben so gemacht habe, nicht mit «Ich war arbeiten» antworten will. In einer Gesellschaft, die demokratisch eine Initiative abgelehnt hat, welche uns allen eine Woche mehr Ferien gesetzlich verankern wollte, ist es schwierig zu begründen, mit welchem Recht man einfach mal monatelang aus dem regulären Alltag austritt, quasi aus reiner Lust am Leben. Obwohl ich der Überzeugung bin, dass es den meisten Menschen hier äusserst gut tun würde, sich ab und zu eine Auszeit zu nehmen. Vom Alltagsstress. Von der 45 Stunden-Woche. Von den Fast-Food-Medien und dem Fast-Food-Essen. Für das Lesen eines Buches hat man zu viele Termine, und für langes Kochen mit frischen Lebensmitteln weder Zeit noch Geld. Wussten Sie, dass inzwischen mehr Menschen auf der Welt an Übergewicht leiden als an Hunger?

In unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft gehen wir so unglaublich verschwenderisch mit Gütern um, aber unsere persönliche Zeit, unsere Verschnaufpausen vom Alltag sparen wir uns weg. Zu wenig Zeit, zu viel zu tun. Noch so vieles abzuhaken auf der wöchentlichen, monatlichen, jährlichen To-do-Liste. Es reicht nicht, jeden Tag mindestens acht Stunden zu arbeiten, es wird ein sportliches, doch trotzdem kreatives Hobby erwartet, ein tolles soziales Netzwerk – notfalls halt nur Online-Freunde, aber derer dann bitte mindestens 400. Kleidergrösse 34/36, zwei bis drei Kinder, deren Geburt man irgendwo zwischen Studienabschluss und Vollzeit-Arbeitspensum terminieren muss. Und ein eigenes Häuschen, das blitzblank sauber und ökologisch richtig saniert ist. Ein paar Kurztrips sollte man auch machen. Zum Shopping nach New York oder Paris zum Beispiel. Und da dann viele Fotos schiessen, um alle Social-Media-Freunde teilhaben zu lassen. Und man vergisst, die Orte nicht nur durch die Linse der teuren, neuen Nikon zu betrachten, sondern kurz innezuhalten und bewusst den Moment zu erleben. Aber genau das werde ich jetzt tun. Ich mache jetzt eine Pause. Und verschwinde für drei Monate. Nur, um zu erleben.


Anita Hofer,
20.1.2015, 114. Jahrgang, Nr. 20.

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