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«Wandzeitung» vom 26.11.2016:

Das ist ganz okay:

Steuerstreberin.

Steuererklärungen ausfüllen gehört auch bei mir nicht zur Lieblingsbeschäftigung. Jahr für Jahr schiebe ich die Pflicht vor mich her und die Frist nach hinten. Spätestens im September ärgere ich mich, es nicht bereits im März erledigt zu haben. Das war selbstverständlich auch dieses Jahr der Fall. Mitten in den herbstlichen Stress hinein liess es sich nicht länger herauszögern. Ein Freitagmorgen, meine Nerven und ich mussten daran glauben.

Ich fühlte mich schrecklich streberinnenhaft dabei. Eine Woche vorher hatte die rechte Ratsmehrheit in Bundesbern beschlossen, Steuerhinterzieherinnen und Steuerdeliquenten in Zukunft für ihre Vergehen zu belohnen (nicht einfach nicht zu bestrafen, sondern zu belohnen! Word!). Wer seine Steuerdelikte zugibt, soll die geschuldete Steuer nicht mehr voll begleichen müssen. Die unanständige Steuerschummlerin soll weniger bezahlen müssen als der anständige Streber.

Da sieht man mal, wer das Volk für dumm verkaufen will (man vergleiche auch meinen Artikel zu «Steuerflüchtlingen – Raub an der Gesellschaft» vom Oktober 2015). Die Rechten zeigen sich – ihrer Härte gegenüber Armutsbetroffenen und Ausländerinnen und Ausländer zum Trotz – im Fall von Steuerdelikten auffällig nachsichtig und stören sich auch nicht, wenn dabei die Verfassung missachtet wird. Denn hei, Steuerdelikte sind doch Kavaliersdelikte, oder? Vorsichtige Schätzungen gehen von fünf bis zehn Milliarden aus, um die der Staat und wir jährlich betrogen werden. Einfach so als Vergleich: Die Gesamtausgaben für die Sozialhilfe auf Stufen Bund, Kantone und Gemeinden betragen zusammen rund 2,6 Milliarden Franken pro Jahr ... Während Sozialdetektive zuhauf auf die Jagd nach unrechtmässig bezogenen Sozialhilfeleistungen und unvollständigen Angaben gemacht werden, werden mehr Steuerkommissärinnen mit dem aufgeblähten Beamtenapparat verhindert. So sieht Schweizer Politik aus: Die kleinen Fische werden an die Angel genommen und zerhackt, die grossen lässt man munter weiterziehen im trüben Teich der Abzockerei.

Eigentlich wäre es noch recht wichtig, dieses Wirtschaftsverbrechen konsequenter zu ahnden. Doch Fehlanzeige, auch von höchster Stelle. SVP-Finanzkapitän Ueli Maurer beispielsweise kommentierte die Verstrickungen der Schweiz in den Steuerbetrug-Skandal, der mit den Panama Papers aufgedeckt wurde, lapidar mit den Worten: «Wir dürfen uns nicht als Obermoralisierer der Welt aufspielen.» Noch Fragen?

Dass es vor allem Gutbetuchte mit ihrer Steuerpflicht nicht so genau nehmen können, realisierte ich an diesem Freitagmorgen beim Ausfüllen meiner Steuererklärung. Ich besitze weder Liegenschaften noch Aktien und auch keinen nennenswerten Goldschmuck, geschweige denn Kunstgegenstände. Nur mit einem Lohneinkommen lässt sich schlecht schummeln. Ich bleibe eine Streberin. Was ganz ok ist.


Mattea Meyer,
26.11.2016, 115. Jahrgang, Nr. 331.

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