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«Wandzeitung» vom 27.12.2014:

Das haben wir jetzt davon:

Bekloppt geklopft.

Kaum hat Fridolin seine mittelprächtige Hand voll aufgestauter Wut zum Fäustchen geballt und an die Wand gepocht, ist es ihm eiskalt eingefahren, dass er soeben einen bösen Fehler gemacht haben könnte. Tatsächlich donnert es postwendend, aber gewaltig aus dem Nachbarzimmer. Fridli meint gar wahrgenommen zu haben, dass es aus diesem Nebenan im obersten Geschoss des Römer Hotels Rinascimento mächtig geblitzt hat. «Das haben wir jetzt davon», beflüstert er seine Frieda verängstigt.

Sie haben sich der Nachtruhestörung wegen aufgewiegelt und sind nun gelinde gesagt ziemlich reizempfänglich. Das Gemach ennet der Mauer ist deutlich nach Mitternacht bezogen worden, in einer Lautstärke, welche die Piazza Venezia um die Mittagszeit zudröhnt, wenn Berlusconi von Polizisten auf ihren Töffs geleitet und vom Sirenenlärm begleitet zum üppigen Pranzo chauffiert wird. – Oder ist der gar am Ende nicht mehr der grosse Chef? – Der schlafvereitelnde Radau ist von zwei lauthals schimpfenden Mäulern gekommen, aus einem Männlein und einem Weiblein mit zwei durchdringenden Stimmen. Aber auch der Fernseher ist so laut eingestellt, als hätten die Azzurri das Goal zur Weltmeisterschaft erzielt. «Was machst du jetzt?», fragt Frieda. Er spürt seinen merklich steigenden Herzrhythmus. Bewirkt hat sein Klopfen ja nur, dass die bösen Mitgäste noch unverschämter rumkrachen und sein Handknöchel vom Schlagen schmerzt. Freilich streiten sich jetzt die Friedlichs laut und deutlich, und es steht Bangnis im Raum, weil der grossmaulige Kerl doch rüberkommen könnte: «Wenn der so stark ist wie laut, haucht der unsere verschlossene Tür aus den Angeln.» Gegen drei Uhr haben die Mäuler ausgeschnurrt, die Herzen pumpen wieder gelassen, und alle Augendeckel sind dicht.

Das Aufstehen am Morgen fällt mit mulmigem Gefühl im Magen gar nicht leicht. Erst muss die nahestehende Tür der Unruhestifter passiert werden, was auf den Socken schleichend gelingt, bis der Frieda unverhofft ein Schuh mit hohen Absätzen aus den Händen gleitet und hart auf den Boden aufschlägt. Das Paar steht wie angewurzelt im Gang und atmet hektisch, fast synchron. Es passiert nichts, sie höseln flink vom fünften Stock zum Pianterreno runter. Im Frühstücksraum bemühen sie sich gelassen zu wirken. Es sitzen schon so viele Verpartnerte da, und es kommen laufend neue hinzu. Der Feind sitzt wohl mittendrin.

Frieda flüstern ängstlich: «An meinem zögerlichen Klopfen gestern haben die bemerkt, dass wir Schweizer sind, und als Einzige hier, die nicht wie Südländer oder Nordlichter aussehen, erkennen die uns bestimmt!» – «Ja, und wir haben keine Ahnung, wer die sind.» Bei jeder festgestellten Bewegungen der Gastig zucken sie zusammen, jeder aufgefangene Blick erschreckt. Plötzlich steht ein bulliger Blonder am Tisch. Fridolins Blut entzieht sich seinem Gesicht. Kreidebleich und kraftlos starrt er aufs Kraftpaket und erwartet nur noch den Schlag in die Visage. Frieda rutscht nervös auf ihrem Stuhl rum. Das blasse Energiepaket lächelt freundlich und fragt in vertrautem Deutsch, schweizerischer Prägung: «Darf ich schnell den Zucker von Ihnen ausleihen?»


Guido Blumer,
27.12.2014, 113. Jahrgang, Nr. 205.

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