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«Wandzeitung» vom 9.12.2014:

Ecopop:

Keine reflektierte Diskussion.

Die Diskussion um die Ecopop-Initiative hat mich oft stutzig gemacht. Obwohl ich gegen die Initiative war, musste ich feststellen, dass die Befürworter die besseren Argumente hatten. Sie sagten, die stetige Zunahme der Bevölkerung stosse in der Schweiz und weltweit langfristig an eine Grenze. Ich glaube das stimmt. Niemand kann bestreiten, dass mehr Menschen, mehr Platz beanspruchen und dass auch verdichtetes Bauen und Wohnen früher oder später an räumliche Grenzen stösst. Die Wirtschaftsvertreter argumentierten, es brauche die Einwanderung, damit die Wirtschaft und damit der Wohlstand weiter wachsen können. Es stimmt: Die Wirtschaft braucht die Zuwanderung, um zu wachsen. Aber brauchen wir das Wirtschaftswachstum? Obwohl das Bruttoinlandprodukt pro Kopf in den westlichen Industrieländern seit den 60er-Jahren stetig gewachsen ist, hat die Lebenszufriedenheit kaum zugenommen. Dies belegen zahlreiche Glücks- und Zufriedenheitsstudien. Ist die Armutsgrenze erst einmal überwunden, sind soziale Beziehungen, Gesundheit, die persönliche Freiheit und die innere Haltung entscheidend für das Wohlbefinden der Menschen. Es ist möglich, dass das Wirtschaftswachstum garantiert, dass wir nicht unter diese Armutsgrenze fallen. Trotzdem kann die Wirtschaft nicht ewig weiter wachsen, da die dazu benötigten Umweltressourcen sich irgendwann erschöpfen. Wir brauchen also in jedem Fall eine Alternative zum Wohlstandsrezept Wirtschaftswachstum. Ist eine Wirtschaft die nicht wächst denkbar? Wie würde diese Wirtschaft aussehen?

Ein weiteres Thema bei der Diskussion um die Ecopop ist der Mangel an Arbeitskräften. Beispielsweise im Pflegebereich. Dort ist das Problem wegen der Überalterung der Gesellschaft besonderes akut. Im Moment ist es möglich, das Pflegepersonal aus dem Ausland zu holen. Aber wie ist es denn eigentlich im Ausland? Gibt es dort keine Pflegebedürftigen? Doch! Und deswegen holt man sich in Deutschland die Arbeitskräfte aus Polen und in Polen müssen die Pflegefälle dann halt selbst schauen, wie sie klarkommen. Eine nachhaltige Lösung für das Überalterungsproblem in Europa ist das nicht. Denn die Einwanderer, die in die Schweiz kommen, haben auch nicht unbedingt mehr Kinder als die Schweizer und so werden auch sie zur Überalterung der Gesellschaft beitragen und das Problem wird weiterhin bestehen. Man muss sich also auch hier eine alternative Lösung überlegen. Vielleicht Alters-WGs, in denen diejenigen, die noch fit sind, sich um die anderen kümmern. Oder Quartiervereine, die sich solidarisch um die älteren Anwohner kümmern. Oder doch Roboter aus Japan?

Ich finde, die Ecopop-Initiative spricht viele wichtige Themen an, die leider im Geschrei um Rassismus und Menschenfeindlichkeit untergehen. Ich bin gegen die Initiative, weil ich die Einwanderung in meinem Alltag als riesige Bereicherung erlebe und mir nicht vorstellen kann, in einer Schweiz zu leben, die sich isoliert und eine Europa-inkompatible Einwanderungspolitik betreibt. Damit könnte ich mich nicht identifizieren. Doch die kritische Diskussion zum Thema Wirtschaftswachstum sollten wir unbedingt führen.


Anita Blumer,
9.12.2014, 113. Jahrgang, Nr. 187.

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