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«Wandzeitung» vom 6.8.2015:

Ein Plädoyer für den Erhalt unserer humanitären Tradition:

Meine Schweiz.

Vor kurzem war ich im Kino. Ich sah den wunderschönen Film «Taxi Teheran» vom iranischen Regisseur und Filmemacher Jafar Panahi. Der Filmer fährt als Taxifahrer durch Teheran und spricht mit seinen Fahrgästen. Ein herrlich actionfreier Film, mit sehr viel Charme und Tiefgang. Panahi protestiert mit seinem Film gegen die Zensur in seinem Land. Spannend ist dabei, dass man in den Gesprächen nicht auf den ersten Blick das Gefühl hat, die Leute seien eingeschüchtert oder würden sich besonders viele Gedanken darüber machen, worüber sie sich äussern dürfen. Und doch ist die Zensur omnipräsent. Es scheint, als ob sich viele Leute so sehr an die Situation gewöhnt hätten, dass es für sie völlig selbstverständlich ist, dass sie nicht frei sind in dem, was sie tun und sagen.

Beim Verlassen des Kinos sagte eine ältere Dame zu mir: «Wir haben es schon schön hier in der Schweiz, nicht wahr?» – «Ja, das haben wir ...», war mein erster Gedanke. Und mein zweiter: «…zumindest wir Schweizerinnen und Schweizer.» Gerade haben wir den Geburtstag unseres Landes gefeiert. Mit Feuerwerk und Cervelat, mit Lampions, Fähnlein und patriotischen Reden. Und wie jedes Jahr war mir dabei etwas mulmig zumute. Verstehen Sie mich nicht falsch, auch ich liebe unser Land! Sehr sogar! Aber ich kann mit dem 1. August und mit der Art, wie er in der Regel gefeiert wird, nicht viel anfangen. Die Schweiz, die ich liebe, hat nicht viel zu tun mit dem Rütlischwur und den Kriegszügen der alten Eidgenossen. Die Schweiz, die ich liebe, feiert ihren Geburtstag am 12. September. An diesem Tag vor 167 trat die Bundesverfassung in Kraft.

Zustände wie im Iran wären für uns undenkbar, weil wir ganz selbstverständlich seit 1848 in einem demokratischen Land leben dürfen. Das Recht, mitzubestimmen, Meinungsfreiheit und die Freiheit zu leben, wie wir es wollen, das alles ist in der Schweiz durch die Verfassung garantiert. Was für eine Errungenschaft! Und seit Beginn gehört eine humanitäre Haltung zu diesem Land.

Wenn ich gefragt werde, worauf ich als Schweizerin ganz besonders stolz sei, dann ist es weder der Rütlischwur, noch Morgarten oder Marignano. Es ist diese humanitäre Tradition: Das Wissen, dass wir hier unter sehr privilegierten Umständen leben dürfen und dass es unsere Pflicht ist, für jene einzustehen, die dieses Glück nicht haben.

Ja, wir Schweizerinnen und Schweizer haben es gut hier! Ich möchte aber, dass auch Leute, die aus Not und Verzweiflung zu uns gekommen sind, bei uns frei leben können. Wie oft höre ich von Migrantinnen und Migranten, dass sie lieber unauffällig bleiben und nichts sagen, weil sie es sonst schwer haben. Wie oft werden Einwanderer und Flüchtlinge dafür kritisiert, dass sie sich auf der Strasse zeigen. Wie oft missgönnt man ihnen das wenige, was sie haben oder bekommen.

In meiner Schweiz sind diese Leute willkommen! In meiner Schweiz hat man Verständnis für die Geschichten dieser Menschen. In meiner Schweiz dürfen sich alle äussern, zeigen und präsent sein, ohne Zensur!


Christa Benz-Meier,
6.8.2015, 114. Jahrgang, Nr. 218.

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