Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 5.9.2014:

Gedanken aus der Erinnerung:

Gibt es ein faires Kirchengeläut?

Mein Vater betonte immer, wie es doch ein Privileg der Kirche sei, als einzige ohne Polizeigewalt lautstark ihre Präsenz zu zeigen. Er dachte nicht daran, das Geläut abzustellen. Er stellte einfach fest, dass die Kirche in unseren geografischen Breiten ein Monopol besitzt, das anderen verwehrt bleibt. Ist das fair?

Heute wehren sich Menschen gegen das Kirchengeläut. Sie können nicht schlafen und fühlen sich in der Nachtruhe gestört. Was früher selbstverständlich war, lässt jetzt die Galle steigen. Genauso wie Menschen aufs Land ziehen und danach die Kuhglocken verteufeln, zieht neuerdings die Kirche den Schwanz vor Reklamationen ein. Glockengeläut stört den modernen Menschen. Also schaltet man sie zumindest während der Nachtruhe ab.

Ein anderes Thema ist Fairness. Das Wort wird leicht in den Mund genommen. Subjektiv weiss jeder, was fair oder unfair ist. Unbestimmt bleibt, dass sich schon viele an diesem Begriff die Zähne ausgebissen haben. Was ist fair, was nicht? Ist es fair, dass die Kirchen ihre Glocken zum Schweigen bringen? Dabei geht es nicht um die Heiligkeit. Manch einer erinnert sich, wie viele Menschen im Klang dieser Glocken aus dem Leben geschafft worden sind. Als Ketzer verbrannt, als Opfer der Kreuzritter im Krieg erstochen, von Missionaren missbraucht. Heute erleben wir im Nahen Osten, was einst mal das Christentum verbrochen. Kaum einer nimmt's wahr.

Ja, fair ist es nicht, was die Kirche lautstark verkündet. Und dennoch darf man sich erinnern, dass Gewalt auf Erden dem Frieden widerspricht. Die Glocken sind kaum dazu da, genervte Menschen auf Trab zu halten. Aber hat das nicht viel mehr mit dem Stress der heutigen Zeit zu tun? Glocken können erinnern, dass es ein Leben der Demut gibt. Vielleicht liegt es daran, dass manchen Gestressten diese fehlt? Dann natürlich wird die Kirche zum Ärgernis. Oder sind es nur die Glocken?

Fair ist vermeintlich nur das, was mich nicht stört. Stört mich das Glockengeläut, so hat das wohl erstmals viel mit einem selbst zu tun. Ich selber bin neben einer Kirche aufgewachsen, und aus ihr ausgetreten. Übrigens mein Vater auch. Es war aber nicht das Kirchengeläut, das uns zu diesem Schritt bewog. Es waren die Menschen, die Fairness in einer Art praktizierten, die durchaus Zwist und Unmut streut. Vielleicht wäre es gut, über das Kirchengeläut nachzudenken. Es hat durchaus seinen Sinn. Denn wenn wir uns nicht mehr erinnern, aus welcher Kultur wir stammen, vergessen wir leicht, wie schnell wir Menschen einander Leid antun können.

Schauen wir nochmals in den Nahen Osten. Wen interessiert es, dass im Namen Gottes Menschen Menschen morden? Wen interessiert es, dass die Kirche einst Macht besessen hatte, selbst mittels Glocken täglich und nachts präsent zu sein?

Fairness entsteht nur durch Erinnerung. Selbst wer Mühe mit dem Glockengeläut hat, weil er vielleicht früher darunter litt, darf nicht vergessen, dass wir Menschen eigentlich da sind uns zu durchdringen. Oder überlassen wir das Geläut dem unfairen Stress?


Heiner Dübi,
5.9.2014, 113. Jahrgang, Nr. 92.

Artikel als PDF downloaden

Standpunkte:

6.9.2014, 11:47 Uhr.

Ruth Huber schrieb:

Lieber Heiner. In Facebook-Manier kurz und bündig: gefällt mir.


Veröffentlichen Sie Ihren

Standpunkt*:

Verbleibende Zeichen: 777 von 777

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.