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«Wandzeitung» vom 19.10.2014:

Schon bald gibt's Winterthurer Würste am Limmat-Quai:

Die Krux der 100 000!

Bekanntlich beginnt der Fisch am Kopf zu stinken. Aber wie soll eine Stadt regierbar sein, die guter Dinge ist, ihr Format zu verlieren? Winterthur ist eine Gartenstadt. Winterthur ist aber auch eine Musikstadt. Eine Museumstadt. Winterthur ist eine Bildungsstadt und vor allem – eine Industriestadt. Ohne Industrie wäre Winterthur keine Stadt, sondern ein Städtchen ähnlich wie Murten.

Was Winterthur überhaupt nicht ist: Sie ist keine Versicherungsstadt, keine Bankenstadt und insbesondere keine Immobilienstadt.

Wer jetzt den Kopf entleert und die Geschichte vergisst, verpasst die Zukunft. Alle unsere kulturellen Errungenschaften wurden im Schoss und auf dem Boden einer aktiven Industrie geboren und von Menschen errungen, die mit ihren Händen arbeiteten. Dann gab es noch eine Mittelschicht, die die Kultur pflegte und Mäzenen, die sie ermöglichten. Dieses Format zu akzeptieren, zu verbreiten und zu leben, ist die Aufgabe unserer Stadt.

Es kümmert keinen Neuzuzüger in den (DDR-)Blöcken von Neu-Hegi, wo und wie er neuerdings lebt. Ebenso im neu geplanten Winterthur West (das bedenklich genau an die Türme in Zürich erinnert) werden sich die Bewohner kaum mit der Stadt identifizieren. Schon die Firma Sulzer wollte in den 60er Jahren hoch hinaus. Zurück im Turm ist der Konzern jetzt bereit wegzufliegen. Auch dieser Konzern hat vergessen, wo seine Wurzeln liegen. Im Dreck, den er der Stadt hinterliess.

Dreck hin oder her. Nun liegen die Wurzeln der Industriestadt brach. Statt den Dreck zu entsorgen ist Winterthurs Boden in den letzten Jahren flächendeckend zugeschüttet worden, mit der Schnapsidee wohl als Rettungsanker eine Grossstadt zu werden. Jetzt kommt die Rechnung ohne Mehrwert, die keiner mehr bezahlen kann. Schon gar nicht die Sozietät Winterthur.

Versicherungen, Banken und Immobilien bilden nur einen Vorort von Zürich ab. Wollen wir das? Wollen wir in Zukunft die Winterthurer Würste an der Limmat grillieren? Die Stadt ist verletzt. Was über ihrem Boden gebaut wird, beginnt zu leiden. Die neuen Kleider passen nicht zur lebendigen Stadt. Demgemäss frieren auch unsere Wirtschaft, unsere Politik, unsere Verwaltung, unser Gewerbe ein.

Aus der Industrie und aus dem Handel ist in den letzten Jahrhunderten aus Winterthur eine Stadt geworden. Winterthur wurde reich. Das Leben pulsierte. Winterthur bildete sich in einem Mass aus, das die Stadt als solide und einzigartig ausgezeichnet hatte – ohne Hauptstadt oder Grossstadt zu sein. Natürlich wurden auch Fehler gemacht. Es fehlt bis heute ein Verkehrskonzept, ein Entfaltungskonzept, ein Budget, das die Stadt über Jahrzehnte lebenstüchtig hält.

Die 100 000 sind zu einer Krux geworden. Zu klein um gross zu sein, und zu gross um klein zu sein. Dieses Patt nutzen nun die Architekten. Ein Beispiel? Zuerst wurde Lokwerk als scheinbares Starzentrum gebaut. Es entpuppte sich als den grössten Flop der Schweiz. Jetzt werden Wohnungen darum herum gebaut, damit schlussendlich wenige Immobilienfirmen superreich werden und die Stadt mit ihrer Grossstadtidee ein weiteres Mal verliert. Wie soll da noch regiert werden?


Heiner Dübi,
19.10.2014, 113. Jahrgang, Nr. 136.

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Standpunkte:

20.10.2014, 16:13 Uhr.

Pierre-François Bocion schrieb:

Ja, Winterthur braucht einen Marschhalt. Nach der Tat der vergangenen Jahre, ist es Zeit zum Rat halten. Was wollen wir? Eine Garten- und Kulturstadt eingebettet in Felder, Wiesen und Wälder oder Autos, Autos … und noch mehr Beton in Blockform oder so ähnlich, und Finanzen die völlig aus dem Lot sind? Ein Aufbruch zurück zur Winterthurer Bescheidenheit ist das Gebot der Stunde.


20.10.2014, 13:00 Uhr.

Heiner Dübi schrieb:

Es gibt einen Zeitgeist und einen Geist der Natur. Der Zeitgeist ist wie eine Kerzenlicht, abhängig vom Wind. Die Blöcke entsprechen dem Zeitgeist, nicht aber der Natur des Geistes. Sie werden in 20 Jahren unbewohnbar sein, weil die Menschen darin nicht nur alt, sondern krank werden. Die Finanzen haben einen engen Zusammenhang mit dem Zeitgeist, aus dem Groove der Industrie politische und wirtschaftliche Spekulationsgebäude zu bauen. Die antiquierte Kultur von Winterthur ist längst aufgebrochen. Zudem sehne ich mich nach der Zukunft einer Stadt, die aus sich heraus lebensfähig ist und nicht mit Grössenwahn und mangelndem Gewahrsam die gleichen Fehler begeht wie vor 30 und mehr Jahren. Das mag gelingen, wenn wir mal ehrlich nach innen schauen, statt dem schnellen Geld nachspringen, das nur Verluste produziert.


20.10.2014, 07:33 Uhr.

Matthias Erzinger schrieb:

Lieber Heiner Dübi, in ihrem Beitrag werden jetzt aber gerade etwas sehr viele Themen durcheinander gemixt.Was die Bauten in Oberhegi mit der DDR, der Aufbruch Winterthur aus dem miefigen, engen Groove Ende der achtziger Jahre mit den Finanzen und der Sehnsucht nach Industriearbeitsplätzen zu tun haben ist mir unklar. Offenbar sehen sie sich nach den Zeiten zurück, als die Beizen noch um 23 Uhr schliessen mussten, die Arbeiter brav in die verbotene Stadt marschierten und die Kultur sich in Musikkollegium und den Museen erschöpfte ...


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