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«Wandzeitung» vom 23.12.2017:

Die Furcht der Mächtigen

Ein Leben ohne Mittelpunkt

Wir Christen feiern Weihnachten. Im Mittelpunkt steht das Christuskind. Zumindest behaupten wir Abendländer das so. Der Mittelpunkt hat jedoch ein Problem an sich. Er hat kein Gegenüber, mit dem sich Gegensätze bilden könnten. Dieses Problem hat nicht nur der christliche Glaube. Es geht allen abendländischen Religionen so. Sie denken absolut und finden sich einzigartig. Dieser zentrierten Erkenntnisweise sind auch die Atheisten und Esoteriker verfallen. Denn einzigartig kann höchsten ein Produkt aus unendlich viel Wirbel und Bewegung, aber gewiss kein absoluter Mittelpunkt sein. Absolut und einzigartig vertragen sich nicht.

Einzigartigkeit entsteht, wenn sich zwischen mehreren Gegenübern immer wieder neue Gegensätze auftun und sich zu neuen Einheiten bilden. Jede neue Einheit schafft wieder neue Gegenüber. Fragen wir also anders: Was ist das Gegenüber vom Christuskind? Der Esel, der Ochse, die Könige oder Hirten? Die Menschen oder der liebe Gott? Da stehen einander plötzlich Dimensionen gegenüber. Absolute Mittelpunkte finden wir in der Mathematik, in Kreisen, gleichschenkligen Dreiecken, in Quadraten und vielem mehr. Die katholische Kirche hat sich das Christuskind unter den Nagel gerissen und zum Zentrum der Absolution gemacht. Ihr fehlen Ecken und Kanten. Denn wer aus der Mitte heraus regiert und sich im Mittelpunkt wähnt, greift schnell zum Missbrauch der Macht. Wer mächtig auftritt, wird weniger angegriffen. Die Folgen davon kennen wir alle: Kreuzritterkriege, Inquisition und Übergriffe in allen Machtbereichen. Auch der Ausblick auf die österliche Auferstehung bleibt in dieser absoluten Mitte stecken. Der reformierten Kirche geht es nicht besser. Sie stellt anstelle der Erlösung durch die Auferstehung die freie Erlösung durch den Tod Christi in den Mittelpunkt. Auch in der Esoterik wird vergessen, dass nicht alles hell sein kann, was leuchtet. Wo Licht ist, stellt sich der Schatten als Gegenüber ein. Bekanntlich kann kein Mensch, nicht einmal der Teufel über seinen eigenen Schatten springen. Wir können aber auf die Schatten anderer treten.

Wenn die Furcht der Mächtigen absolut bleibt, fehlen ihnen die einzigartigen Ecken und Kanten. Niemand wird zurück gepfiffen, wenn er sich mächtig gibt, es sei denn ihn holten irgendwann selber die Zweifel ein. Es gibt Menschen, die gerne auf den Kanten stehen und mit ihrem Fokus durchaus mal anecken. Sie schaffen Übergänge und helfen Impulse finden, um aus unendlich vielen Räumen neues als Gegenüber zu bilden, die wieder zu neuen Ecken und Kanten von Gegensätzen werden. Zitat: "Der Anfang, die Mitte und das Ende, die Geburt, das Wachstum und die Vollendung von allem, was wir sehen, geht von Gegensätzen durch Gegensätze zu Gegensätzen, und wo Gegensatz ist, da ist auch Wirkung und Rückwirkung, da ist Bewegung, ist Verschiedenheit, ist Mannigfaltigkeit, ist Ordnung, Stufenfolge und Fortschritt." Giordano Bruno endete auf dem Scheiterhaufen. Machtmenschen fürchten sich mehr vor ihrem eigenen Urteil als ein Leben ohne Mittelpunkt es zulassen kann. Es ist zum Fürchten, aber wahr: Mittelpunkt kann Urgrund sein. Woher sollen wir Menschen das wissen?


Heiner Dübi,
23.12.2017, 116. Jahrgang, Nr. 357.

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