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«Wandzeitung» vom 2.3.2017:

Alltägliches:

Zwangsstörungen und -Handlungen.

Man mag übers Dschungelcamp denken was man will. Als Schriftstellerin mag ich indes Charakterstudien: Menschen, die unter erschwerten Bedingungen leben müssen. Unter Fremden, 24 Stunden von Kameras überwacht. Zum 11. Mal in Folge habe ich sogenannte B-Promis erlebt, die sich im Busch zum Affen gemacht haben. Dieses Jahr kam dadurch eine Krankheit zur Beobachtung, die ich in dieser Intensität noch nicht gekannt hatte. Zwangsstörungen. Die Diskussionen darüber, ob alles eine Show war oder nicht, interessierte mich dabei nicht. Ich bewundere Menschen, die immer neue Strategien entwickeln, um überleben zu können. Eine Frage taucht bei mir aber auf. Ist dieses, mit immer mehr dazu kommenden Ängsten, wirklich lebenswert? Ich glaube, ich könnte das nicht. Es ist ein einsames Leben, teils von hohen Kosten begleitet. Ich fasse zusammen, was ich über besagte Kandidatin alles erfahren hatte. Sie hat vorgängig ein Buch darüber geschrieben, das mich auch interessieren würde.

In einer Dokumentation hatte sie ein Kamerateam besucht, bevor sie in den Dschungel ging. Dabei mussten etliche Regeln eingehalten werden. 1. Keinen Körperkontakt. Durch Berührungen werden Keime übertragen. 2. Schuhe ausziehen und in vorbereitete Filzpantoffeln steigen, die sie für nicht gefährlich hält.

Schuhe, Socken und Füsse sind diesbezüglich, neben Händen und Gesicht, die schlimmsten Feinde. Sie trägt meistens Gummistiefel, die sie, wie sie meint, am besten sauber halten kann. 3. Nichts anfassen, erklärt sich von selbst. Sie hat im eigenen Haushalt Bereiche, die sie ständig für kontaminiert hält. Der Fussboden, etwa Hausschuhe ausziehen kann sie nur auf Teppichen, die sie für steril hält. Nach dem Umzug musste sie sämtliche Wasserhähne, Tür- und Fensterklinken auswechseln. Alles wird, teils mehrmals täglich, desinfiziert. Alle Gummihandschuhe, Putzlappen und sogar Putzkübel kann sie nur einmal brauchen und muss das Zeug danach entsorgen. Den Container öffnet sie mit einer bestimmten Spaghettizange, auch Türklinken im Haus. Wenn sie mal raus geht, oder gar weg, muss sie langatmige Rituale machen, bis sie sicher ist, dass kein Wasserhahn tropft oder – der Klassiker – der Herd abgestellt ist. Dort kann sie bis zu zwei Stunden stehen und in scheinbar nie endender Abfolge alle Platten durchgehen und abklopfen.

Wie sie 16 Tage im Dschungel durchhalten konnte, grenzt an ein Wunder. Und durch Rücksicht der anderen! Eine Tubberdose half ihr dabei. Das war für sie ein sauberer Bereich, wo sie WC-Papier oder die Zahnbürste rein legen konnte. Das Leben in freier Natur hat heilende Kräfte, das wissen wir. Aber durch Wunden dringt das Böse in einen hinein, meint sie. Es war schön zu sehen, wie sie diverse Ängste ablegen konnte. Täglich ging sie über ihre Grenzen hinaus. Kleine Erfolge beflügelten sie zu Höchstleistungen. Machen wir uns nichts vor, das war keine Wunderheilung.

Daheim wird sich alles wieder einschleichen. Die Krankheit ist tükisch. Ich selber könnte niemals mit ihr zusammenleben, sie spricht ununterbrochen und ist eine extreme Nervensäge. Aber in meinem Herzen ist SIE die Dschungelkönigin.


Momo Appenzeller,
2.3.2017, 116. Jahrgang, Nr. 61.

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