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«Wandzeitung» vom 18.3.2017:

Alltägliches:

Unterbindung des ureigenen Triebs.

Laut Art. 6, Abs. 2 Bst.b des Sterilisationsgesetzes wurde meinem Sohn die Unterbindung bewilligt. Er hat nicht nur mit seiner leichten körperlichen und geistigen Behinderung zu kämpfen, sondern muss sich auch sonst immer extrem für seine Bedürfnisse und Rechte durchsetzen. Er ist dem kesb unterstellt, das sich wiederum für seinen Schutz einsetzt. Weitreichende Entscheide darf er nur mit ihm und uns Eltern, die wir nun seine Beistände sind, fällen. Eine zusätzliche Belastung für ihn.

Seinem Beschluss, in seinem ganzen Leben auf Vaterschaft zu verzichten, ging ein schmerzhafter Prozess voraus. Sich selber einzugestehen, dass man stets auf Begleitung, irgendwelcher Art, angewiesen sein wird, ist hart. Auch wenn sich der Mensch bis zum Lebensende weiterentwickelt, gibt es Grenzen des Machbaren. Wenn man sein Leben nicht ohne fremde Hilfe bewältigen kann, ist es unvernünftig, Kinder zu zeugen. Leider ist diese Haltung nicht selbstverständlich. So eine Auseinandersetzung mit sich selber ist mit viel Schmerz verbunden, bedarf Voraussicht und Grösse und verdient meine Hochachtung! Wie viele Menschen haben einfach nur Scheuklappen vor den Augen und wollen nicht genau hinsehen. Sich seinen Dämonen zu stellen ist genau das, was unbequem ist und Angst macht. Mein Sohn musste zwei psychiatrische Gutachten über sich ergehen lassen, bis bescheinigt wurde, dass er in dieser Sache urteilsfähig ist. Dann wurde die Bewilligung offiziell erteilt und er kann nun einen Schritt weitergehen.

Die Unfähigkeit sich fortzupflanzen ist bei der Partnersuche ein zusätzliches Handicap. Aber wir sind überzeugt, dass die «Richtige» dieselbe Einsicht haben wird. Erfüllung im Leben muss sich nicht ausschliesslich über den Nachwuchs definieren. Glücklichsein bedeutet für jeden wieder etwas anderes. Und Liebe lässt sich sowieso nicht erzwingen. So sind wir immer wieder grossen Herausforderungen ausgesetzt, die wir nicht einfach aussitzen können. Oft müssen wir handeln, damit sich eine scheinbar auswegslose Situation endlich in eine andere Richtung bewegt. Und oft sind wir auf den Beistand von anderen angewiesen. Schliesslich sind wir «Herdentiere».

Als Eltern wollen wir unsere Kinder glücklich sehen. Aber auch sie tragen ihren ganz persönlichen Rucksack mit ihren schwierigen Aufgaben. Die Akzeptanz fürs «anders sein» vor sich selber und dann auch noch von der Umgebung, bedarf viel Mut und Kraft und Ausdauer. Mein Jüngster hat ein weiteres Mal bewiesen, dass genau diese drei Tugenden seine Stärke sind. Wir sind stolz auf ihn und diesen Erfolg! Er hat gejubelt, als er den Bescheid gelesen hat. Das macht mich einerseits froh, aber andererseits auch traurig. Eben weil er für so einen Entscheid wieder so vieles einstecken musste und muss.


Momo Appenzeller,
18.3.2017, 116. Jahrgang, Nr. 77.

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