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«Wandzeitung» vom 22.1.2017:

Wir alle sind und bleiben Töchter und Söhne des Kapitalismus:

Migros oder Coop oder was?

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Schweiz zweigeteilt ist? Nein, ich meine nicht den Röstigraben oder die Frage, ob man seine Bratwurst mit oder ohne Senf zu verspeisen hat. Ich spreche von einer grundsätzlichen Identifikationsproblematik, mit der jeder und jede von uns früher oder später konfrontiert ist: MIGROS oder COOP?

Slam-Poet Gabriel Vetter erläuterte diesen «mentalen Apartheids-Äquator» der Eidgenossenschaft gekonnt mittels Fallbeispielen während eines Auftritts bei Giacobbo/Müller. So bekämen COOP-Kinder nach der bestandenen Matura von Ihren Eltern eine Espressomaschine geschenkt, während MIGROS-Kinder den Gedanken an die misslungene Lehrabschlussprüfung an Dorffesten mit Kafi Lutz zu ertränken suchten.

Ich persönlich wuchs mit dem Privileg auf, weder COOP-, noch MIGROS-Kind zu sein. Oder besser: Ich war beides. Die COOP- wie auch die MIGROS-Filiale lagen in unserem Quartier nämlich so nah beieinander, dass man die jeweils favorisierten Lebensmittel ohne grossen Umweg erwerben konnte und so nicht Farbe bekennen musste, zu welcher Sorte Schweizer man sich selbst zählte (obwohl «Farbe bekennen» in casu eh schwierig gewesen wäre, tragen doch beide Detailhandelsunternehmen stolz die Farbe Orange).

Als ich letzte Woche wieder einmal durch das Fernsehprogramm zappte, fiel mir die neue Werbung des Discounters ALDI auf. Untermalt mit stimmungsvollen Bildern und fetziger Musik setzt sich der Text obgenannten Werbefilms wie folgt zusammen: «Die Schweiz hat ein neues Kind. Das ALDI-Kind. Und plötzlich sehen andere Kinder alt aus. Andere Kinder kaufen teuer. ALDI-Kinder kaufen schlau. Andere Kinder wollen alles. ALDI-Kinder wollen einfach nur das Beste. Andere Kinder stecken fest. ALDI-Kinder machen vorwärts. Bye bye anderes Kind. Hier kommen die ALDI-Kinder.»

Was will uns diese Werbung mitteilen? Dass wir in eine neue Ära eingetreten sind, offensichtlich. In die Ära von ALDI. Von Billig-Discountern. Dass wir uns nicht weiterhin dafür schämen, sondern dazu stehen sollen, aufgrund von verlockenden Preisangeboten von den schweizerischen Urgesteinen MIGROS und COOP zum Sinnbild des RTL-Hartz IV-Empfängers gewechselt zu haben: zu ALDI. Diese Werbung sagt uns: «Ist doch scheissegal, ob Dich die Nachbarn für abgefuckt halten! Du bezahlst weniger, also bist Du besser! Und ja, es ist völlig in Ordnung, Deine Adidas-Hausschuhe und die ungewaschenen Trainerhosen auch bei Deinem nächsten Trip zu ALDI anzuziehen! Denn wir bei ALDI sind nicht oberflächlich und tun so, als wären wir etwas Besseres. Nein, wir sind ehrlich. Wir verkaufen Schrott, stehen aber auch dazu und verkaufen ihn deshalb billig.»

Das ist die sogenannte «Geiz ist geil!»-Mentalität, welche erstmals von der Elektronik-Fachmarktkette SATURN offen proklamiert wurde. Von diesem berühmten Slogan hat sich SATURN unterdessen verabschiedet. Neu verwendet man dort die grammatikalisch fragwürdige Parole: «So muss Technik!». Was bleibt, ist eine Erkenntnis, welche zugleich konsterniert und versöhnlich stimmt: Ob MIGROS-, COOP- oder ALDI-Kinder: Wir alle sind und bleiben Töchter und Söhne des Kapitalismus.


Anita Hofer,
22.1.2017, 116. Jahrgang, Nr. 22.

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Standpunkte:

23.1.2017, 21:06 Uhr.

Adrian Ramsauer schrieb:

Kapitalismus, hast noch der Söhne –Töchter da: Aldi ist zu hoch für Hartz IVler, ihr Reich(tum) ist der Penny-Markt ...


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