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«Wandzeitung» vom 22.3.2017:

Eine äusserst schweizerische Diskussion:

Die Grösse, ein guter Verlierer zu sein.

Gerade führte ich mit meinem Partner eine äusserst schweizerische Diskussion. Diese drehte sich nicht etwa um die Vor- und Nachteile der direkten Demokratie oder um das Bankgeheimnis. Nein, es beinhaltete die Entscheidung, ob wir ein neues Spülmittel zum vollen Preis kaufen, oder den zu Hause vergessenen Spülmittel-Gutschein während der nächsten Einkaufstour einlösen sollten. Klarer Vorteil der zweiten Variante: eingesparte 4 Franken 50. Noch klarerer Nachteil: Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Gutschein auch während des nächsten Einkaufs noch immer am Kühlschrank hängt, wird sowie die schwindende Zeitspanne, in der mit dem alten Spülmittel überhaupt noch ein Abwasch möglich sein wird (dieses wurde bereits mehrfach mit Wasser verdünnt und büsste somit mehr und mehr an Wirkkraft ein).

Wir entschieden uns nach sorgfältigem Abwägen für den Kauf des neuen Spülmittels, versicherten uns jedoch gegenseitig, den Gutschein trotzdem schnellstmöglich einzulösen, um so einem weiteren Spüli-Engpass frühzeitig entgegenzuwirken. Ein Kompromiss also.

Es sind nicht nur die von dem scheinanglizistischen, in den 1990er-Jahren aufgekommenen Modewort Swissness vorweggenommenen Attribute wie Präzision, Sauberkeit, Zuverlässigkeit und politische Stabilität, welche die Schweiz ausmachen.

Es ist das Sammeln von Spüli-Gutscheinen, von Rabatt-Märkli und Cumulus-Punkten. Es ist das eigentlich überflüssige «Isch da no frei?», wenn sich jemand in ein praktisch leeres Zugabteil setzt. Es ist das «Wie vill verdiensch Du eigentlich?» – «Zwenig.» Es ist das «Und, wie gaht's?» – «Mues ja.» Es ist die liebenswerte Grummligkeit. Es ist die penibel erwartete Höflichkeit. Es ist die Bescheidenheit. Es ist der Kompromiss. Nebst meinem eben erwähnten Spüli-Beispiel wurde in Winterthur in den letzten Wochen ein sehr viel bedeutenderer Kompromiss geschlossen.

Der Verzicht der SP, ihre ausgesprochen kompetente Stadtratskandidatin Christa Meier für den zweiten Wahlgang aufzustellen und dafür ihre Unterstützung für den Grünen Jürg Altwegg öffentlich kundzutun und auch zu verbreiten. Ein mutiger Schritt, und wohl ein notwendiger, um einem weiteren SVP-Sitz in der Regierung von Winterthur entgegenzuwirken. Aber ganz und gar kein selbstverständlicher. Der SP ist zu solchem Verhalten zu gratulieren. Ganz anders hingegen verhielten sich die Grünliberalen, welche – verzeihen Sie mir den Ausdruck – den Schwanz einzogen und sich, wie so oft, keiner Position so richtig anschliessen mochten. Obwohl ich Vorstösse und Abstimmungsverhalten der GLP während meiner drei Jahre im Grossen Gemeinderat zum Teil mit Befremdung hautnah miterleben durfte, überraschte mich die Stimmfreigabe doch.

Dass sich die GLP die Entscheidung zwischen einem SVP- und einem Grünen Kandidaten überhaupt überlegen musste, spricht für sich, auch wenn Grüne und GLP keine einfache Vergangenheit teilen. Abschliessend: Die GLP zeigte sich alles andere als schweizerisch. Dazu gehörte in einem Land der direkten Demokratie nämlich auch der Kompromiss. Und die Grösse, ein guter Verlierer zu sein.

 


Anita Hofer,
22.3.2017, 116. Jahrgang, Nr. 81.

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