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«Wandzeitung» vom 22.9.2017:

Das macht mir irgendwie Angst:

Siebenundzwanzig ist nah bei dreissig!

Mein siebenundzwanzigster Geburtstag schleicht sich langsam an und das macht mir irgendwie Angst. Siebenundzwanzig ist nämlich so bedenklich wenig weit entfernt von dreissig. Die erste menschliche Entwicklungsphase ist Mitte zwanzig abgeschlossen. Die Weichen des Lebens wurden zu diesem Zeitpunkt bereits gestellt, die eigene Persönlichkeit ist soweit ausgereift, dass gröbere Korrekturen nur noch mühsam und mit Hilfe von Workshops oder Therapeuten vorgenommen werden können. Die Sicht auf das eigene Leben verändert sich. Sport wird nun aus Vernunft getrieben – nicht, um fitter zu werden oder abzunehmen, sondern um der unumgänglichen Verlangsamung des Stoffwechsels entgegenzuwirken. Um gesund zu bleiben. Worte, die man früher nur aus der Werbung kannte, bekommen plötzlich eine ganz andere Bedeutung; zum Beispiel Anti-Aging-Crème. Die Gespräche verändern sich. Man empfiehlt sich gegenseitig, ein Dritte-Säule-Konto zu eröffnen, allein schon wegen steuerlichen Gründen. Am Kühlschrank hängen Hochzeitseinladungen von Gleichaltrigen. Die Eltern sind grauhaarig, reden von ihren Plänen nach der Pensionierung und machen augenzwinkernd Witzchen über Enkelkinder. Mir ist aufgefallen: Ich fühle mich plötzlich beleidigt, wenn ich einfach so geduzt werde. Aber gesiezt werden fühlt sich auch noch komisch an. Während die eine Hälfte meines Bekanntenkreises sich darüber berät, wann die beste Zeit zum Abstillen ist, verliert die andere Hälfte noch immer regelmässig das Handy im Ausgang und muss sich monatlich neue Unterwäsche kaufen, weil der Vorrat an sauberen Unterhosen zur Neige geht und das mit dem Selber-Wäsche-Waschen noch nicht ganz klappt. Ich befinde mich da irgendwo zwischendrin. Die Vorstellung, ein Kind in mir heranwachsen zu lassen und nach neun Monaten ohne Alkohol und Kaffee (!) aus mir herauszupressen, versetzt mich noch immer in Angst und Schrecken. Aber als ich das Neugeborene meiner Freundin in den Armen hielt, schrien mir meine Hormone lautstark „Oooh! Du willst auch so eins! Mach ein Baby! Sofort!“ ins Ohr. Sich überhaupt ernsthaft die Überlegung zu machen, ob es langsam Zeit für eigene Kinder ist, erscheint mir abstrus. So viel Verantwortung. So viel Verpflichtung. So wahnsinnig viele Fehler, die man machen kann. So eine riesige Einschränkung der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten! Ich bin hin- und hergerissen. Zwischen respektheischendem Erwachsensein und süsser Unverbindlichkeit. Ich brauche einen Kompromiss! Ich bin noch nicht so weit, vollkommen vernünftig zu sein und alle Aspekte meines Lebens im Griff zu haben. Das alles habe ich letztens mit jemandem besprochen, der nicht auf Ende zwanzig, sondern auf Ende fünfzig zugeht. Er hat geschmunzelt und mir eine ausgesprochen beruhigende Weisheit mitgegeben: Auch die älteren, vollständig erwachsenen, mitten im Leben stehenden Eltern und Grosseltern dieser Welt haben im Grunde keinen blassen Schimmer, was richtig ist. Wir tun doch alle nur so. Und um zu meinem Kompromiss zurückzukommen: Wir haben uns jetzt eine Katze zugelegt. Das ist doch schon mal ein Anfang.


Anita Hofer,
22.9.2017, 116. Jahrgang, Nr. 265.

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