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«Wandzeitung» vom 22.11.2017:

Du musst noch ziemlich viel mehr Lebenserfahrung sammeln:

Diese selbstgefälligen Idioten.

Glaubt man meinem familiären Umfeld, war ich ein anspruchsvoller Teenager: Unhöflich, schnoddrig, augenrollend, giftspritzend, zynisch, frech und launisch.

Aber nicht nur meine Nächsten durften mein übellauniges Teenager-Ich in Höchstform erleben; anscheinend gab ich in diesen Jahren gern allen Mitmenschen eine Kostprobe meiner jeweiligen Gemütsverfassung. Ab und zu erzählen mir Menschen, die mich durch diese Jahre begleitet haben, wie amüsiert sie durch mein schlechtes Benehmen gewesen seien, was mir dann jeweils ziemlich peinlich ist. Es ist eigentlich sehr ungerecht: Das Schlimmste, was einem säuerlichen, rebellischen Teenie angetan werden kann, ist, dass man ihn nicht ernst nimmt. Dass man ihn belächelt und schulterzuckend sagt: „Ach, das ist halt die Pubertät. Das geht vorbei“, während man einen mitleidigen Blick zur Erziehungsperson wirft.

Ich weiss noch, wie wütend mich das gemacht hat. Ich habe Erwachsene gehasst. Ganz allgemein. Diese selbstgefälligen Idioten, die mir bei jeder Gelegenheit unter die Nase reiben mussten, wie viel besser sie ihr Leben im Griff hatten und dass ich noch ziemlich viel mehr Lebenserfahrung sammeln müsste. Pha! Was wussten die denn schon!

Ich kann mich gut an meine Empörung erinnern, als ich mit 17 einem Erwachsenen einmal stolz erzählte, ich sei bereits seit anderthalb Jahren mit meinem damaligen Freund zusammen, worauf er erwiderte: „Ah, die Beziehung ist also noch ganz frisch!“ Hallo?! War diesem Trottel etwa nicht klar, wie lange anderthalb Jahre sind? Ich weiss noch, wie ich dachte, dass er vermutlich keine Ahnung habe, wie es ist, in einer handfesten Langzeitbeziehung zu stecken. Es hat mich unheimlich genervt, für unreif gehalten zu werden, weil ich mir selbst sehr weise, erfahren und deswegen auch ziemlich cool vorkam. Mein schlechtes Benehmen hatte sich mein Umfeld meines Erachtens selbst zuzuschreiben, unter anderem, weil niemand mich ernst genug nahm.

Heute bin ich mir der Unspektakularität meiner Teenagerzeit bewusster und lächle manchmal kopfschüttelnd über meine damalige Dramatik. Aber als meine beste Freundin sich in der achten Klasse einer anderen Clique anschloss, kam das für mein 14-jähriges Ich einem Weltuntergang gleich. Und als ein paar Jahre später meine „Langzeitliebe“ nicht mehr auf meine SMS antwortete, ertränkte ich diese Kränkung in Wodka-Cola und trauriger Pop-Musik, wie es in dem Alter eben üblich war.

Seit einigen Wochen habe ich beruflich täglich mit straffälligen Jugendlichen zu tun. Das reicht von 11-Jährigen, die ein Stück Pizza klauen, über drogenabhängige 14-Jährige, welche im bekifften Zustand ihren Freunden eine geladene Waffe an den Kopf halten, bis zu 19-Jährigen, die bereits Jahre im Vollzug sitzen. Die Arbeit ist spannend und vielfältig, ab und zu aber auch erschütternd und zwischenmenschlich-emotional anspruchsvoll. Manchmal benötige ich eine Portion Humor, um mich genügend zu distanzieren. Da tut es gut, kann ich vieles von dem, was mir im Berufsalltag so geboten wird, schulterzuckend mit einem Lächeln abtun und mir sagen: So ist sie nun einmal, die Pubertät.


Anita Hofer,
22.11.2017, 116. Jahrgang, Nr. 326.

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