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«Wandzeitung» vom 3.7.2017:

Handy/Messe:

Polster, Handy & Schuhe.

Meine Mutter war Pragmatikerin, lebenfroh und optimistisch. Auch in wilden Stürmen des Lebens blieb sie gelassen. Ärger? Das fand sie total überflüssig, und sich ärgern ohnehin reine Energieverschwendung. Oft hörten wir zuhause den Spruch: Mensch, ärgere dich nicht, verwundere dich numen!

Leider fehlt mir diese Gelassenheit. Ich gehöre zur Sorte Mensch, die sich echauffiert, ärgert, ausruft. Und dabei genau weiss, dass es nichts nützt. Aber es gibt jeden Tag Dinge, die mich stören, ärgern, aufregen – ok, nichts Weltbewegendes, aber eben doch Sachen, die ich nicht ignorieren mag. Beginnen wir am Sonntag. Ich sitze in einer feierlichen Messe in der Kirche Herz Jesu. Wir führen eine Messe für und Orchester auf. Vier Trompeten, Pauken und Streicher. Wenn die Trompeten für einige Takte schweigen, nehmen zwei von den vier ihr Handy hervor und betrachten ungeniert Fotos. Hat der Pauker nichts zu tun, liest er das Fernsehprogramm. Das alles während der heiligen Messe. Wo sind da die Manieren? Machen wahrscheinlich gerade Pause. Und es scheint, als ob ich der einzige wäre, den dies stört. Es macht ja keinen Lärm und frisst kein Heu. Ich frage mal den Dirigenten, ob er das wahrnimmt und falls ja, toll findet. Oder einfach normal ... Dass während des Segens der Paukist seine Pauken verpackt – mit nur wenig Geräusch – mag ja noch gehen.

Immer noch Sonntag: Spaziergang beim Stadtpark, Güsel überall, genau NEBEN den zahlreichen Abfallbehältern. Montags im Zug nach Elgg. Schräg mir gegenüber ein junger Mann, top gekleidet, sauber, geschniegelt. Parkiert beide Füsse samt Schuhen auf den gegenüberliegenden Sitz. Kein Mensch sagt etwas, da rege ich mich halt auf und mache etwas: Zunächst ein scharfer Blick auf die Schuhe. Kein Effekt. Dann stehe ich auf und schaue noch schärfer, bevor ich etwas sage. Das nützt, der junge Mann sieht mich böse an und nimmt seine Füsse vom Sitz. Wenn Blicke immer genügen würden!

Übrigens sind es nicht immer die Jungen, die sich nicht benehmen können, es gibt auch ältere Semester, welche Nachhilfe brauchen könnten. Eine Dame, zirka 55, belegt sechs Sitze im Zug: Einen für sich, zwei für ihre Taschen, eine für die abgelegte Zeitung und zwei für den Hund. Meine scharfen Blicke versagen. Zwei Tage später: Frau, Mitte 40, ungepflegt, beide sanierungsbedürftigen Schuhe auf dem Polster. Niemand sagt etwas. Mangelnder Mut oder einfach alles Wurst? Beim Aussteigen kann ich es nicht verklemmen und sage ihr: «Gell, es geht auch ohne Anstand und Manieren!» Da ernte ich bloss einen verständnislosen Blick.

Mich erstaunt es, dass fast alle sicherlich merken, dass etwas passiert, das nicht geht oder nicht regelkonform ist. Bei Bushaltestellen oder beim Gleis am Bahnhof werden Zigarettenstummel Verpackungen und Papiertaschentücher einfach fallen gelassen, obwohl es fünfzig Zentimeter daneben Behälter genau für Raucherabfälle und Papiere gibt. Da sage ich manchmal eben auch etwas, so in der Richtung «Sie haben etwas verloren.» Vergebliche Liebesmüh. Mitleidigte Blicke ...

In Schulen wird während des Unterrichts unterm Tisch munter und ungehemmt gegoogelt und geschattet. Zeichen der Zeit.


André Bernhard,
3.7.2017, 116. Jahrgang, Nr. 184.

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