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«Wandzeitung» vom 19.7.2017:

Ja, aber:

Spöter vilicht.

Vor einigen Jahren war ich in Teneriffa in den Ferien, und wie es so geht, isst und trinkt man an grossen, langen Tischen zusammen mit Touristen aus aller Welt. Da kommt der clevere Wirt und fragt, ob ich noch ein Bier möchte. Und ich gebe zur Antwort «Später vielleicht.» In korrektem Hochdeutsch. Und der sagt mir: «Schweizer, gell.» Warum merkt er das denn gleich? Er weiss, erklärt er mir, dass praktisch alle Schweizer auf seine Frage nach einem zusätzlichen Getränk eben die Standard-Antwort «spöter vilicht» (er spricht es ganz dialektmässig richtig aus ...) bringen, und das sei eben wahrscheinlich halt typisch schweizerisch ...

Offenbar gibt es noch andere schweizerische Eigenheiten, mit denen man sich zu erkennen gibt. Zum Beispiel das «Ja, aber ...», was nichts anderes bedeutet, dass man das JA einschränkt und so dann oft ein Kompliment oder eine positive Aussage zunicht macht. Bleiben wir beim Restaurant. Wenn die Bedienung fragt: «Isch es rächt gsi?» kommt oft als Antwort, «Ja, aber die Suppe war zu wenig heiss, oder die Teigwaren zu matschig» Was natürlich das Kompliment ganz erheblich schmälert oder gar zunichte macht.

«Eigentlich» ist auch so ein Wort, das zwar nicht typisch schweizerisch ist, hingegen Aussagen verwässert oder provisorisch macht. Thomas Meyer, der Zürcher Schriftsteller, bringt das in seinem neusten Buch «Trennt euch!» ausführlich auf den Punkt. Er verbietet bei Antworten auf den Zustand von Beziehungen ausdrücklich die beiden zu wenig klaren Antworten «Ja, aber» und «eigentlich.» Was bei ihm dann zur Folge hat, dass nur klare JA oder NEIN Reaktionen erwünscht sind. Also quasi wie in der Bibel: «Deine Rede sie Ja Ja, Nein Nein.» So kann man einiges klären und vereinfachen, selbstverständlich oft leider dann doch zu sehr. Thomas Meyer hat nicht etwa einen neuen Roman geschrieben, was man nach seinem grossen Erfolg von «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erwarten durfte, sondern ein kleines Buch mit 115 Seiten, das fast als Ratgeberbuch durchgeht. Tatsächlich habe ich bis zum Schluss auf eine Auflösung gewartet, oder wenigstens ein bisschen Ironie, aber nein, vergeblich. Meyer weiss, dass von fünf Beziehungen vier unglücklich sind, aber trotzdem, wenn auch anstrengend und unbefriedigend, weiter geführt werden. Sein Rat ist kurz und klar und besteht aus lediglich zwei Fragen, die ich hier und jetzt (nicht spöter vilicht) gerne zitiere, weil sie wesentlich sind. «Findest du, dass wir zusammenpassen? Hier und jetzt?» und «findest du, dass wir einander gut tun? Hier und jetzt». Der logische Schluss ist, dass er erlaubt, mit NEIN zu antworten, und es ist keine Beleidigung, sondern im Gegenteil ein Zeichen von Achtung, denn man erkenne damit an, dass der Partner so sein darf, wie er ist. Das folgende Zitat bringt Klarheit: «Die Behauptung (...) jemand passe zu Ihnen, wenn er es unübersehbar nicht tut, ist eine Heuchelei und ausserdem eine Form von Psychoterror, denn sie setzt diesen Menschen in die ekelhafte Pflicht, Ihnen zu gefallen.»

Eigentlich wollte ich wieder zu Schweizer Eigenarten zurückkehren. Klar, ja, aber eben «spöter vilicht...»

 


André Bernhard,
19.7.2017, 116. Jahrgang, Nr. 200.

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