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«Wandzeitung» vom 19.8.2017:

Die Chinesen kommen:

Schröpfen und stechen.

Vor vielen Jahren habe ich mich zufällig mit Akupunktur beschäftigt. Zufälle gibt es nicht, sagen einige Philosophen, also musste es einfach sein. Mir geriet ein Buch über Meridianmassage in die Hände, geschrieben von einem Chinesen, übersetzt von einer Bernerin. Ein tolles Buch, das mich neugierig gemacht hat: Nicht einfach mit Nadeln stechen sondern nur massieren, fein und leicht den Meridianen entlang. Das wollte ich am liebsten sofort probieren. Die Bernerin gab mir die Adresse von Dr. Hin in Paris, ich fuhr hin und kam in das Chinesenquartier von Paris. Die Praxis von Dr. Hin war in einer Vierzimmerwohnung untergebracht und im Ordinationszimmer waren vier Liegen, getrennt durch Vorhänge, aufgestellt. Ich legte mich hin bei Dr. Hin, meine Kollegin nebendran. Ich kriegte Nadeln in Arme, Beine, Füsse, Hände. Da meine Kollegin kein besonderes Leiden ausser Kurzsichtigkeit hatte, führte mir Dr. Hin nach Rückfrage bei der Patientin, ob ich zuschauen dürfe, vor, wie man ganz rasch ohne Brille für ein paar Sekunden entscheidend besser sehen kann. Wie geht das? Paralleles Zwirbeln der Brustwarzen, das war's schon. Wir waren beide völlig platt, denn es funktioniert! Aufgepasst, ihr Optiker: Statt Kontaktlinsen Warzen zwirbeln: Das geht bei uns dann nicht!

Meine nächste Station für Akupunktur war das Seefeld in Zürich; Dr. Hin gab nämlich Kurse in chinesischer Medizin für Schweizer Ärzte in Zürich. Ich durfte als Demonstrationsobjekt teilnehmen. Hin zeigte, wie man mit einer langen Nadeln zwei Punkte gleichzeitig stechen kann. Ich sass auf einem Hocker, Oberkörper entblösst und liess Hin mit Anlauf in meine rechte Brust stechen. Und fiel vom Stuhl und in Ohnmacht. Am Boden liegend, von Ärzten umringt, fühlte ich einen starken Druck unterhalb der Nase auf der Oberlippe: Das sei der Punkt, mit dem man Tote aufwecken könne, erklärte Hin den Ärzten. War wohl ein Witz, aber Bewusstlose, das geht. Das war eine tolle Lektion für die Ärzte und für mich. Hin hat sich nachher entschuldigt: Die Nadel sei nicht scharf genug gewesen, sonst hätte ich nichts gespürt ...

Falls Sie in Winterthur auch ein aufregendes Erlebnis mit chinesischer Medizin haben möchten, habe ich einen Tipp für Sie: vor ein paar Wochen drückte mir eine Chinesin einen Gutschein für eine Gratisbehandlung bei Dong Fang in die Hand, und wenn's gratis ist, bin ich meist dabei ...

Also ging ich hin, oberhalb Manor und staunte ob dem ruppigen Empfang. Frau Wang befahl: Ausziehen und hinlegen und rammte mir etwa 20 Nadeln überall hin. Wortlos verliess sie mich, kehrte nach einer halben Stunde zurück und liess mich auf den Bauch drehen. Was dann kam, war eine schmerzhafte Überraschung, die man wenigstens ankündigen sollte oder fragen könnte, ob man das wünscht: Ich wurde geschröpft, mit heissen Gläsern, eins nach dem andern auf dem Rücken, ich habe etwa neun gezählt. Schluss der "Behandlung". Anziehen und ins Wartezimmer. Als ich wissen wollte, wieviele Nadeln und Gläser es genau waren, schnauzte mich Frau Wang an und sagte, das wisse sie nicht. Adieu! Auf Wiedersehen? Nein danke. Mein Rücken blieb wochenlang farbig. Gratis! Es gibt Angenehmeres.


André Bernhard,
19.8.2017, 116. Jahrgang, Nr. 231.

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