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«Wandzeitung» vom 27.10.2014:

Unsere Moral:

Die Letzten beissen die Hunde.

Hast du viel, so wirst du bald viel mehr dazubekommen; Wer nur wenig hat, dem wird auch das Wenige genommen; Wenn du aber gar nichts hast, ach so lasse dich begraben, Denn ein Recht zu leben Lump, haben nur die etwas haben.

Heinrich Heine bringt es auf dem Punkt. Trotz Revolutionen und dem ewigen Nerven der Unterschicht, trotz Aufklärung und überall abrufbaren Informationen über Exzesse bleibt das Grundproblem gleich. Wir können ständig sehen, dass bei privaten Einkommen und Vermögen, zwischen Gemeinden und Kantonen oder zwischen den Ländern immer grössere Unterschiede klaffen; und da wundern wir uns, dass es so vielen nicht mehr zur Existenz reicht.

Der kleinen Minderheit von Profiteuren gelingt es dieses System mit Worthülsen wie «Leistung muss sich lohnen» zu verteidigen. Ist es denn wirklich eine Wahnsinnsleistung, wenn man mit seinem dicken Portemonnaie auf den Kapitalmärkten spielt und damit seinen Reichtum immer weiter anwachsen lässt? Ist der Schweisstropfen, der einem vielleicht beim Lesen sinkender Aktienkurse auf die Stirn getrieben wird, tatsächlich so viel wertvoller, als derjenige einer hetzenden Pflegefachperson oder eines Grubenarbeiters im fernen Land. Ja 100 mal, 1000 mal oder noch mehr Mal mehr wert? Das ist einfach nur zynisch. Da muss keiner mit irgendwelchen abstrakten komischen Konstrukten der Finanzwirtschaft das zu berechtigen versuchen – es ist nur amoralisch, die 1:12 Initiative hatte einfach Recht.

Eine andere Worthülse: «Wir übernehmen Verantwortung». Ja merci und für wen denn? Es kann doch nicht reichen, wenn man sich einfach nur für seine Klientel einsetzt. Der Appenzeller Bundesrat hat es mit seiner Steuerreform vollbracht. Beim nächsten Kompagnon findet man es nicht schlimm, dass er jahrelang Steuern lieber im fremden Land versteckte, statt sich angemessen an unserer Volkswirtschaft zu beteiligen. Da schreien nur wenige auf, war ja alles «legal». Das ganze Streben nach Reichtum kann mit dem Slogan aus meiner Jugend treffend beschrieben werden: Legal – illegal – scheissegal, einfach nur amoral.

Wir entsetzen uns in Winterthur über die Stadtfinanzen, wir wollen aber den Zusammenhang mit den Steuergeschenken an Privilegierte nicht herausstreichen. Nur schon solche Änderungen seit 2005 haben uns einen Fehlbetrag von 40 Millionen eigehandelt. Das ist der Betrag der uns heute fehlt, das ist unser strukturelles Defizit.

Und was sollen wir nun tun? Diesen Gewinn für Einzelne von den Steuern der Allgemeinheit ausfinanzieren lassen, und weil das nicht reicht, gleich noch die Gemeindezuschüsse und Sozialhilfe zusammenstreichen? Nehmt den Bedürftigen noch das wenige weg – so kann man sie noch einfacher ausgrenzen – vielleicht lösen sie sich so in Luft auf. Apropos Luft. Wir merken es, nur warme Luft ist, was uns als sogenannt verantwortungsvolle Wirtschaft und Politik verkauft wird. Vielleicht wollen wir das nicht mehr hinnehmen und stehen als Kraft der Allgemeinheit gegen diesen Egoismus einzelner hin. In unserer Demokratie hätten wir diese Möglichkeit – zumindest heute noch.


Christoph Baumann,
27.10.2014, 113. Jahrgang, Nr. 144.

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