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«Wandzeitung» vom 8.4.2017:

wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht das gleiche.

dumme gänse.

im alten rom, und zwar bereits in den zeiten seines niedergangs, was aber damals noch niemand wahrhaben wollte, soll ein fremdes volk aus dem barbarischen norden den versuch unternommen haben, die mauern der ehrenwerten urbs mittels leitern zu übersteigen, aus verständlicher vorsicht in den socken. es gelang ihnen tatsächlich, die schlafenden hunde nicht zu wecken, und sie wären in die häuser und in die schlafkammern eingedrungen und hätten die lateiner, gebildete wie plebejer, in ihren betten niedergemetzelt, wenn da nicht plötzlich in den hinterhöfen die gänse ein entsetzliches schnattern angehoben hätten. die wächter der stadt, getreu ihrer bezeichnung, wurden wach, schrien à l’arme! und konnten die angreifer gerade noch knapp in den restlichen erdkreis zurückschlagen.

noch lange darnach erinnerte sich die stadt jährlich am entsprechenden datum mit einem umzug an dieses ereignis. mit einem reichgeschmückten wagen wurde eine gut gefütterte gans auf einem weichen kissen, wie auf einem thron, durch die straßen gefahren. hinten am wagen wurde ein jämmerlicher straßenköter nachgezogen. das volk am rand des umzugs applaudierte und jubelte der gans zu und schlug dann mit stecken und ruten auf den armseligen hund ein. weder gans noch hund wussten, weshalb ihnen solches glück und solches unglück zuteil wurde.

einige hundert jahre später kam das volk der gänse zu einer ebenso berühmten, aber weit weniger rühmlichen geschichte. «was haben denn die gäns getan, dass so viel müssen s leben lan?», heißt es in einem alten lied. in der französischen stadt tours war ein neuer bischof zu wählen. der favorit des volkes war ein bescheidener klosterbruder namens martin. dieser aber wollte sich dem amt nicht unterziehen. er hielt sich nicht für würdig genug. deshalb verzog er sich, als die wahl anberaumt war, in ein versteck, nämlich in den gänsestall. das war nun allerdings kein geeigneter rückzugsort. denn die gänse vollführten bei seinem erscheinen ein entsetzliches schnattern, worauf bald alle wussten, wo der flüchtige zu finden sei. man zog ihn hervor und machte ihn zum bischof. seither ist der namenstag des heiligen martin auch das datum, an dem die traditionelle martinsgans auf dem tisch kommt, zur strafe für unzeitgemäßes schnattern.

ein armer hund, der dafür, dass seine artgenossen den wachtdienst verschlafen haben, stellvertretend durchgehauen wird, und gänse, die für unzeitgemäßes schnattern kollektiv abgestraft werden … beiden geschichten gemeinsam ist das irrationale verhalten der spezies mensch. wir können sie getrost als mittelalterliche legenden verorten und sind geneigt, über diese finsteren zeiten den kopf zu schütteln. nun tritt da aber in unseren tagen einer auf, der will eine hohe betonmauer errichten lassen, um die migration aufzuhalten; der will terroristen fernhalten, indem er ganzen völkergruppen die einreise verwehrt; und der will einwohner, die ohne pass in seinem land aufgewachsen sind und seit jahrzehnten ihr leben dort verbringen, rigoros abschieben lassen, nur um einen teil der volksseele zu besänftigen. irrational.


Alfred Vogel,
8.4.2017, 116. Jahrgang, Nr. 98.

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