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«Wandzeitung» vom 8.10.2017:

eine tote sprache?

wozu denn latein? cui bono?

einer meiner enkel ist neu ins gymi eingetreten und muss es nun aushalten, dass sich der großvater angelegentlich für sein neues schulfach latein interessiert. ich kann mir nicht vorstellen, sagte er kürzlich, weshalb ich eine sprache lernen soll, die ich nie sprechen werde und nie brauchen kann. da ist er dann allerdings an den rechten gekommen! weißt du denn nicht, antwortete ich, dass du diese sprache längst schon sprichst und dass es nur darum geht, dass du dir dessen bewusst wirst?

bleiben wir nur schon bei unserem ‘deutschen’ wortschatz. ich nehme einen kurzen abschnitt aus den nachrichten deines fußballclubs vom 21.6.17. darin finden sich sieben wörter, die lateinisch sind, wenn auch in leicht veränderter äußerer form. findest du sie? (das hast du wohl nicht vermutet, dass euer berichterstatter lateinisch kann.) wir verstehen den sinn dieser wörter, auch wenn wir latein nicht beherrschen. wer aber latein kann, dem gehen die unterdessen vergessenen zusammenhänge auf. der erwähnte abschnitt lautet: «Das grosse Meisterstück des FCR war vermutlich der 2:1-Sieg gegen den direkten Konkurrenten aus Thayngen vor Wochenfrist. Die Mannschaft hat die taktischen Vorgaben hervorragend umgesetzt und dem Gegner praktisch keine Torchancen zugestanden, sagt Trainer Pasanisi. Der Sieg im Direktduell war dann eigentlich das letzte Puzzleteil, das zum Aufstieg noch gefehlt hatte. Entsprechend ausgiebig feierte die Mannschaft den Triumph.»

die ‘konkurrenten’ (1) sind solche, die mit andern bzw. gegen sie rennen (con=zusammen, currere=rennen). heute werden wettstreitende aller art darunter verstanden, auch solche, die sich etwa um eine offene arbeitsstelle bewerben, ohne dass dabei schweiß fließen muss. – ‘direkt’ (2) bedeutet: in gerader linie einander gegenüberstehend. so stehen sich die mannschaften allerdings nur einige sekunden lang, vor dem anpfiff, gegenüber. – praktisch (3): heute ein häufig verwendetes füllwort, wie ‘sozusagen’. eigentlich wäre damit gemeint: auf das handeln ausgerichtet, auf die praxis, auf das tun. – die chancen (4): ein interessantes wort. es ist mit ‘fallen’ lat. cadere verwandt. die chance ist ein glücksfall im würfelspiel, auch ein glücklicher zufall. – das duellum (5) ist bekanntlich ein zweikampf und meint ursprünglich ‘krieg’ (bellum), wobei lat. duo für ‘zwei’ mitgewirkt haben dürfte. – dass das wort ‘feiern’ (6) auch lateinischen ursprungs ist, würden wir nicht vermuten. es geht, wie unsere ‘ferien’, auf feriae zurück, womit tage gemeint sind, die für religiöse handlungen vorbehalten sind. – der triumph (7) ist der glorreiche einzug des siegreichen feldherrn in die stadt.

der große gewinn des lateinunterrichts ist der, dass uns immer wieder die augen aufgehen. wir kennen die bedeutung des wortes ‘kompliziert’ und lernen dann lat. plicare=’falten’. aha: com-plicare, zusammenfalten, zusammenwickeln. und schon wickelt sich uns das ‘komplizierte’ auf.

 


Alfred Vogel,
8.10.2017, 116. Jahrgang, Nr. 281.

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Standpunkte:

11.10.2017, 12:03 Uhr.

Herbert Danzer schrieb:

Vielen Dank für dieses Plädoyer fürs Latein! Latein kann ein Fenster für die Grundlagen von Kultur, Politik und Philosophie aufmachen, das ansonsten Schülern eher verschlossen bliebe. Und außerdem ergab eine im Jahr 2015 von der Akademie der Wissenschaften und Künste in Nordrhein-Westfalen vorgestellte Studie zum deutschen Textverständnis von 3200 Studenten verschiedener Fakultäten, dass Studenten mit Latinum höchstsignifikant besser abgeschnitten hätten als Studenten ohne ein solches. Schaden kann Latein also nicht, im Gegenteil!


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