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«Wandzeitung» vom 9.9.2017:

EINSATZ:

Spinnen im Neuthal – und anderswo.

Vertrauen Sie mir, ich weiss, was ich tue. DENNIS SCHECK, Literaturkritiker der ARD.

Das Poltern Marcel Reich-Ranitzkys – «Das ist keine Literatur» – in unverkennbar östlichem Akzent mit rollenden r ist längst nicht mehr. Abgelöst hat ihn, wenn man davon absieht, dass diese Musik bei der ARD und nicht beim ZDF spielt, ein «bebrillter Eierkopf» (Tages-Anzeiger), der mit Ironie und nicht minder pointiert als sein Vorgänger kritisiert. Besonders freut mich, dass er keine Rücksicht auf den politischen Mainstream nimmt und deshalb wie alle wichtigen Intellektuellen unverschuldet in die rassistische, frauenfeindliche etc. Ecke gestellt wird. Und nicht zuletzt auch, dass er kulinarischen Köstlichkeiten nicht abhold ist.

Die weniger wichtigen oder gewichtigen Intellektuellen pflegen ihren Äusserungen ein moralisches Postulat voraus- oder hinterherzuschicken. So wie etwa der in der NZZ unlängst interviewte Jonas Lüscher, der als «richtige Debatte» eine sieht, die «immer das Wohl der Schwachen im Blick» hat. Das soll laut NZZ intellektuell sein. Da muss ich husten. Wenn er bei seinen Büchern auch das Wohl der Schwachen im Blick hat, dann Gnade ihrem Plot.

Tragisch ist dabei nicht der gute Wille, der hinter dem Postulat steht, sondern die Vermischung von Ästhetik und Moral. Eine Debatte hat keinen moralischen Impetus. Das gilt auch für brillante Literatur als geschriebene Debatte quasi. Tragisch, dass Intellektuelle schwurbeln bzw. noch tragischer, dass die Zuschreibung «intellektuell» mit der Forderung einer wohltemperierten Debatte verknüpft wird.

Das Tintenfass zum Überlaufen bringt aber jener unsägliche Diskurs darüber, ob intellektuelle oder nicht intellektuelle Schriftsteller «sich einmischen» sollen oder nicht. Wehe, wenn einer sich nicht eingemischt hat, in welchen Senf auch immer, er fällt dem Vergessen anheim.

Damit wäre das Spinnen anderswo abgehandelt und wir kommen aufs Neuthal zu sprechen. Dort wird im ursprünglichen Sinne des Wortes gesponnen. Das alte Spinnerei-Ensemble samt Museumsbahnbrücke kommt zauberhaft illuminiert daher. Adolf Guyer-Zeller, der Tösstaler Industrielle, spinnt seine Visionen in Form von Dialogen mit seinem Doppelgänger, Guyer-Zeller im Multipack quasi. Und das erst noch zum gleichen Preis. Ritter, Sänger und Tänzerinnen kleiden die Szenerie mit Realem und Fantastischem aus Guyer-Zellers Gedankenwelt aus. Begleitet wird das Freilichtspiel von kulinarischen Köstlichkeiten nicht nur für bebrillte Eierköpfe.

Vertrauen Sie mir, ich weiss was ich tue, verpassen Sie nichts und spinnen Sie mit mir im Neuthal. Ab nächster Woche wieder jeden Donnerstag- bis Samstagabend bis Ende September.

Keine Angst, ich bin nicht für die Fantastereien zuständig, dafür habe ich ja diese «Wandzeitungs»-Kolumne: ich stelle die Weichen und Signale auf der Dampfbahn und mische mich ab und zu in den Dialog. Natürlich nur, damit ich nicht dem Vergessen anheimfalle ...


Adrian Ramsauer,
9.9.2017, 116. Jahrgang, Nr. 252.

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