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«Wandzeitung» vom 9.12.2017:

EIN SATZ:

Tschurnalist.

Ich bin nix, ich kann nix, gib mir ne Tastatur. Deutsches Sprichwort (ursprünglich mit dem Begriff Uniform).

Konservative sind in. Allerdings dürfen sie nicht mit Predigern der Wiederkehr gestriger Unwerte verwechselt werden. Sie wollen einfach bewahren. Im schlechten Fall der Strukturkonservativen auch das Schlechte. In jenem der Wertkonservativen nur die guten Werte. Achtung, Stolperdraht! Was sind Werte? Darüber können wir uns vielleicht noch einigen. Aber gute Werte, neudeutsch auch Nachhaltigkeit? Da tappen wir über Gletscher, solange es sie noch gibt, und stürzen in die nächste Spalte. Damit die Menschheit nun nicht zu früh umkommt – es reicht ja, wenn sie dereinst den Klimawandel nicht überlebt – hat der liebe Gott die Ideologien geschaffen.

So müssen wir nicht auf den eisigen Gletscher, sondern können in der warmen Stube unserer Weltanschauung frönen. Es ist keine Reflexion vonnöten. Der Prozessor im Oberschlund befindet sich im Leerlauf. Wir schauen ins fragmentierte Internet, in unsere Peergroup im sozialen Netzwerk und geben uns Freunden hin, die uns nur liken und niemals widersprechen. Dort zementiert sich dann unsere Geisteshaltung. Und wenn doch einmal etwas Abweichendes sichtbar wird, hat uns der Herr eine Tastatur gegeben, mit der wir kommentierend um uns schlagen. Bildlich. Wir hacken auf ihr herum und dem abweichenden Meinungsträger alle Augen aus.

Der Mensch ist höchst effizient organisiert. Das sehen wir nach jedem Glas Wein und jedem Kuchenstück auf der Waage. Jede Kalorie wird gespart und im Portemonnaie an Bauch und Hintern abgelegt. Und wenn auch geistige Anstrengung keine oder kaum Kalorien verbraucht, greift die neuronale Schuldenbremse schon bei einem einfachen Sudoku. Nur für die empörte Tastaturbetätigung scheint ausreichend Energie vorhanden.

Der Beton in unseren Köpfen entspricht unserer Natur. Nachdenken ist widernatürlich, anstrengend und führt in die Demenz. Wir haben nur die Wahl zwischen Betonkopf und Alzheimer. Klar, dass wir uns fürs erste entscheiden. Geistige Regungen prallen auf ein gemauertes Gewölbe. Geistesblitze irrlichtern im steinernen Kerker und sterben früher oder später ab. Nur die Tastatur, sie bleibt.

Was angesichts des verbreiteten Konservatismus' nicht aufgehen will, ist der unablässige Sprachwandel: Rechtschreibreform mit überschwänglichen Stängeln oder Apostrophitis bei Rösi’s Lädeli. Abgesehen davon, dass zusätzlich die Rechts-Schreibreform dräut.

Oder mit dem Newspeak von «Journalist». Nein, nicht «Lügenpresse», es geht mir um Aussprache, nicht um Inhalt. Der Begriff stammt bekanntlich vom französischen jour. Weshalb sprechen immer mehr Deutsche in Funk und Fernsehen im Übergang von grosser zu grosser Koalition das Wort englisch oder, was sie dafür halten, mit tsch aus?

Das kann ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser an der Wand, leider nicht sagen. Darüber nachzudenken würde zuviel Energie kosten. Da surf ich lieber im Netztümpel und hau in die Tastatur.


Adrian Ramsauer,
9.12.2017, 116. Jahrgang, Nr. 343.

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