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«Wandzeitung» vom 6.4.2017:

Zwischen halbleeren Umzugskartons:

In Zeiten des Umbruchs.

Ich befinde mich momentan in Zeiten des Umbruchs – die Diplomfeier und ein Wohnungsumzug liegen hinter, Bewerbungsschreiben und Vorstellungsgespräche vor mir. Wie alle Veränderungen haben auch die eben genannten viel Zeit, Aufwand, Ge- und Umdenken gefordert. Vor allem der Umzug. Nun, da wir eine grössere Wohnung bezogen haben, konnte ich meiner Kreativität bezüglich Einrichten und Dekorieren freien Lauf lassen. Inspiriert haben mich wie immer die IKEA-Kataloge, aber diesmal auch eine ebenso berüchtigte wie beliebte App: Pinterest.

Für alle, denen dieser Name nichts sagt: Nach Wikipedia ist Pinterest «ein soziales Netzwerk, in dem Nutzer Bilderkollektionen mit Beschreibungen an virtuelle Pinnwände heften können.» Je nach Interessenangaben des Nutzers, der Nutzerin sind nach Öffnen der App unersättlich viele inspirierende Bilder zu sehen, von der Flurgestaltung im angesagten «shabby chic»-Stil, über Schminktipps und die bestmögliche Zusammenstellung der neuesten Detox-Diät, bis zu etlichen Collagen von gähnenden Babykätzchen. Toll!

 

Problematisch wird es erst dann, wenn der sogenannte Pinterest-Fluch einsetzt. Abgesehen davon, dass die App wie alle social-media-Plattformen ein gewisses Suchtpotential besitzt, kann es äusserst schädlich für das Selbstwertgefühl sein, bei jedem neuen Klick sehen zu müssen, wie stylisch die Wohnungen anderer Nutzer eingerichtet, wie perfekt ihre Frisuren und wie verschmust und fotogen ihre Kätzchen sind, während ich zwischen halbleeren Umzugskartons sitze, meine Haare wie ein Vogelnest aussehen und meine Katze mich regelmässig ignoriert, falls sie nicht zufällig hört, wie ich eine Dose Katzenfutter öffne.

Der Beziehung zwischen dem Verlust des Selbstwertgefühls in Kombination mit Depressionen und dem gesteigerten Nutzen von social media sind bereits mehrere Studien gewidmet worden. Das Resultat überrascht nicht unbedingt. Beim Besuch von Plattformen auf denen sämtliche Nutzer nur das Beste von sich preisgeben, sei das mit Erinnerungen an den letzten Miami-Urlaub oder mit Badezimmer-Selfies inklusive gefotoshopptem Hintern, kommt man sich schnell minderwertig vor. Umso mehr ist dann zu investieren in den eigenen Auftritt – schliesslich ist jeder «Gefällt mir»-Klick ein Statement, jede Änderung des Profilbildes ein Update des selbstdargestellten Lebens.

Die Suche nach Bewunderung und die Generierung von Neid spielen im täglichen Leben eine grosse Rolle; das Internet dient hierbei als Katalysator.

Ist es ein Teufelskreis? Sind wir alle von der ständigen Konfrontation mit dem angeblich besseren, erfüllteren Leben der anderen so gedemütigt, dass wir uns selbst grösste Mühe geben, nach aussen wieder möglichst besser als andere dazustehen? Führt das alles zu einem Strudel aus Selbsthass und daraus resultierender Überdarstellung der eigenen Fähigkeiten und Besitztümer? Was kann dagegen getan werden?

Auf Pinterest jedenfalls sind etliche Tipps zur Steigerung des Selbstwertgefühls vorhanden – ich versuche, keine davon zu befolgen. Weil ich mein Inneres nicht mehr mit dem Äusseren von jemand anderem vergleichen will. Das hilft ganz gut.

 


Anita Hofer,
22.3.2016, 115. Jahrgang, Nr. 82.

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