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«Wandzeitung» vom 4.3.2017:

Jetzt kommt der Wandel!

shabby!

Ich mag es, morgens auf den Zug zu warten, die verschlafenen Menschen zu betrachten und über das Leben zu sinnieren. Manchmal unterhalte ich mich selber, indem ich beispielsweise nur die Schuhe der Menschen betrachte und vergleiche. Oder die Gangart. Oder die Beinkleider. Vor allem während der paar kalten Tage war es erstaunlich, wie viele zerschliessene Markenjeans die leicht rötlich-blau angekülten Knie knapp bedeckten. Auch Primarschüler bei uns tragen solche Hosen. Nein, sie frören nicht, grinsten sie zurück, wenn wir sie danach fragten.

Es muss aufwändig sein, die Teile zu waschen, stelle ich mir vor. Denn die aufgeschürften Fäden müssen ja irgendwie doch so bleiben wie sie sind, die shabby Jeans darf nicht wirklich reissen. Vermutlich braucht es so ein Täschchen, in das sie gepackt wird, wie zarte Damenunterwäsche. Denn das edle Stück sollte möglichst nach etwas aussehen. Shabby oder used style ist zur Zeit Mode.

Irgendwie cool, finde ich. Ob ich jetzt auffallen würde, wenn ich eine tatsächlich alte und zerschlissene Hose modisch tragen würde? Wäre das der Hipe überhaupt? Eine wirklich alte zerschlissene Hose! Nicht nachgemacht. Echt original. Vom Urgrossvater. Mega! Das würde ich dann total fühlen.

Diese Mode-Entwicklung lässt mich hoffen. Ich sehe einen Lichtblick. Bisher wurden gesellschaftliche Entwicklungen innert kürzester Zeit verkommerzialisiert. Nehmen wir die Punks von damals: Kein Punk erregt heute Aufsehen, wenn er durch die Strasse geht. Punk style kann aber ganz schön ins Geld gehen. Hip-Hopper: Auch der style kostet heute schnell eine Stange Geld, denken wir nur schon an die Chäppli. Auch Nerds müssen sich ein Outfit schon etwas kosten lassen, um noch dabei zu sein.

Dabei wollten Punks, Nerds, Hiphopper etc. etwas ganz anderes: Sie wollten aufmüpfen, die Gesellschaft in Frage stellen, ausbrechen. Und dann wurde ihr style vom Kommerz aufgefressen, wurde zur Mode hochstilisiert und der Aufmupf lief leer.

Diesmal aber ist es anders: Diesmal ist der Kommerz nämlich zuerst: Jetzt kann ich den shabby chic kaufen. Shabby muss man sich heute noch leisten können.

Aber der Markt wird es richten, bald gibt es shabby für alle, günstig, auch beim Grossverteiler. Damit läuft der Trend aus – es braucht eine Weiterentwicklung, einen neuen hipe. Eben: meine Originalhosen vom Urgrossvater.

Ich brauche kein Material mehr. Kaufe nur noch, was ich nicht irgendwo gebraucht finde. Recycling Stationen werden zum gesellschaftlichen Treffpunkt. Der Bauchladen mit Werkzeug zum «must-have» jedes Jungdynamikers im Freizeit Overall aus der Kleidersammlung.

Endlich können wir zusammen etwas bewegen und müssen nicht einmal Versammlungen durchführen, geschweige denn eine Partei gründen. Wir kehren nur das System um. Wir kaufen einfach nicht mehr. Oder nur noch, was wir unbedingt brauchen. Und das behalten wir und flicken bei Bedarf. Grossartig!

Auf dass dieser Modetrend anhalten möge und sich als Gesellschaftshaltung durchsetze!


Marlies Bänziger,
4.3.2017, 116. Jahrgang, Nr. 63.

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