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«Wandzeitung» vom 4.12.2017:

Jungbürgerfeier:

Eine Bildbetrachtung.

Zu meinem ersten Morgenkaffee gehört in aller Regel die Lektüre der Lokalzeitung. Es gibt ja nur noch die eine. Leider. Meist bin ich ein bisschen neugierig darauf, welche Ereignisse von der Redaktion als wichtig eingestuft werden, resp. was das Lokalblatt für eine Sichtweise vermittelt. Häufig genug frage ich mich, mit welchem Inseratevolumen oder anderen Gegenleistungen wohl ein Artikel abgegolten wurde.

Nicht so vergangenen Montag. Da ging es um die Jugend. Um die Jungerwachsenen, genau gesagt. Am Wochenende davor war Jungbürgerfeier, steht im Lokalblatt. Ich gehe davon aus, dass die Jungbürgerinnen mitgemeint sind.

Es sei eine Feier ohne Party gewesen, verspricht der Titel. Logo, die Party wurde vor ein paar Jahren im Rahmen einer Sparübung abgeschafft. Hauptbestandteil des Artikels ist ein grosses Foto. Diesem Bild widme ich nun meine Beschreibung.

Vier schwarz gekleidete junge Frauen tanzen im Gemeinderatsaal. Im Moment der Aufnahme wirkt es, als hockten sie, voller Lebenslust, Blick nach vorne, ein Lachen im Gesicht. Ihnen gegenüber die Reihe der anwesenden Mitglieder des Stadtrates. Allesamt in der gleichen Körperhaltung: Entspannt zurückgelehnt, die Augen allenfalls fast geschlossen, das eine Knie distanziert über das andere gelegt, die glänzend geputzten Schuhe eigentümlich parallel in der ganzen Reihe, blicken sie von leicht oben herab auf die Tänzerinnen, deren Gesichter sich auf Bauchhöhe der Regierung befinden. Die Mienen der Stadträte wirken leicht angespannt, als ob sie die Privatvorstellung über sich ergehen lassen müssten. Die Uhr im Hintergrund zeigt zehn nach neun, vermutlich am Abend, Zeit für den Feierabend, die Familienzeit zuhause. Ganz unten rechts im Bild ist noch ein angewinkeltes paar schmale Knie in Jeans zu sehen, daneben eine braune Handtasche. Ob sich da noch eine Jungbürgerin zur Regierung in die erste Reihe gewagt hat?

Andere Jungerwachsene finde ich nur auf den Seitenplätzen, im Hintergrund. Ich zähle sechs Köpfe, vermutlich sassen noch ein paar Dutzend andere auf den hinteren Bänken, ich weiss es nicht.

Das Bild hinterlässt mich ratlos. Und worum gings nochmals? Jungbürgerfeier? Also um die jungen Erwachsenen, die neu mitbestimmen und mitgestalten sollen? Also einen Stadtrat, der Junge begrüsst, ihnen ein Podium gibt, sie ermutigt, zuhört, sich zurückstellt und gerade an diesem Tag die vorderen Ränge denen überlässt, die es zu feiern gilt?

Weit gefehlt. Die Party für die Jungen wurde abgesagt. Aber ganz offensichtlich dürfen die Jungen heute dem Stadtrat vortanzen. Fast wie bei einer Castingshow.

Ganz anders meine Klasse. Wir haben das politische System der Schweiz besprochen. Besuchten darauf das Bundeshaus. Die Kids recherchierten viel, surften auch zur Jugendsession, brachten selber Artikel mit in den Unterricht, diskutierten darüber, ob Kühe mit Hörnern subventioniert werden sollen und meldeten sich beim zu gründenden Jupa des Kantons Zürich an. Nicht alle, aber einige. Die werden dem Stadtrat in ein paar Jahren kaum vortanzen. Sie werden die vorderen Ränge für sich beanspruchen, wenn sie gefeiert werden. Zu recht. Auf diese Zukunft baue ich.


Marlies Bänziger,
4.12.2017, 116. Jahrgang, Nr. 338.

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