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«Wandzeitung» vom 12.10.2017:

Wenn wir unseren Deutungsrahmen kennen, lassen wir uns nicht manipulieren:

Die Macht der Wörter.

Man muss keine Verschwörungstheoretikerin sein, um davon überzeugt zu sein, dass Wörter verschiedene Gefühle in uns Menschen auslösen. Wörter wie «Flüchtlingswelle», «Flüchtlingsflut» oder gar «Flüchtlingsbekämpfung» schaffen in unserem Gehirn keine Verbindung zu den geflüchteten Menschen. Es entsteht keine Empathie. Anders beim Wort «Flüchtende»: Dieses suggeriert uns, dass Menschen in Not und darum auf Hilfe angewiesen sind. Man könnte sagen «das flüchtende Kind», «die flüchtende Mutter» oder «der flüchtende Vater». Aber meistens sagt und hört man «der Flüchtling». Die Endung -ing impliziert etwas Abwertendes, wie in den Wörtern «Schönling» und «Schreiberling». Zudem ist «Flüchtling» ein maskulines Wort, das eher Stärke – er dringt in andere Länder ein – als Verletzlichkeit suggeriert.

Ein anderes Beispiel aus den Medien: Donald Trump wird in der Regel, ich habe es nie anders gesehen, als US-Präsident bezeichnet, wenn über ihn geschrieben wird. Er wurde vom Volk demokratisch gewählt. Genauso wie der venezolanische Präsident Nicolás Maduro. Letzterer hingegen wird immer wieder «Machthaber» oder gar «Diktator» genannt. Die Berichterstattung ist von Anfang an aufgegleist und alles andere als neutral. Auch das Wort «Putinversteher» ist negativ gefärbt und will uns sagen «Ein vernünftiger Mensch versteht den russischen Präsidenten nicht.» Ein Beispiel aus dem Gesundheitsbereich: Was wirkt positiver auf uns? Wenn der Arzt uns sagt: «Sie haben eine Überlebenschance von 90 Prozent» oder «Sie haben eine Sterbenswahrscheinlichkeit von 10 Prozent»? Es kommt definitiv darauf an, wie die Ärztin uns sagt, was Sache ist. Unsere Reaktion fällt je nach Wortwahl anders aus, löst andere Gefühle in uns aus.

Die Neurolinguistin Elisabeth Wehling untersucht, welche Auswirkung Sprache auf unser Gehirn hat. Dank der Hirnforschung blickt man in Gehirne und erkennt, wie Wörter verarbeitet werden. Wehling spricht vom «Deutungsrahmen». Dieser werde durch Wörter aktiviert. Laut der Deutschen kann das menschliche Gehirn Fakten nie rein rational verarbeiten. Das Gehirn brauche eine Hilfestellung, müsse die Fakten sofort einordnen können. «Framing» nennt man dies in der Psychologie. Haben wir keinen Referenzrahmen, können wir das Gehörte oder Geschriebene nicht deuten. Wir können die Fakten nicht verarbeiten, das Gehörte prallt an uns ab. Ein Beispiel: Ein Glas ist zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Um diese Tatsache zu deuten, müssen wir automatisch entweder die Perspektive «halb voll» oder «halb leer» einnehmen. Anders geht es nicht.

Laut Wehling macht es einen grossen Unterschied, ob ein Wirbelsturm auf einen männlichen oder weiblichen Namen getauft wurde. So ist sie davon überzeugt, dass wir Menschen uns mehr vor Wirbelsturm Max als vor Wirbelsturm Lisa fürchten. Die Evakuation laufe bei einer Lisa schneller ab und es würden deshalb weniger Menschen sterben als bei Max. Klingt kühn.

Unbestritten ist, dass die Sprache mit Erfahrungen und Gefühlen besetzt ist. Deshalb sollten wir uns darin üben, bewusst wahrzunehmen, wie wir auf Wörter reagieren. Oder mit den Worten der Linguistin: Wir müssen unsere «Frames» erkennen.


Rosmarie Schoop,
12.10.2017, 116. Jahrgang, Nr. 285.

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