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«Wandzeitung» vom 14.11.2017:

Blossgestellt:

Ist das die kleine Jennifer Lopez?

Es war beim Brunch diesen Sonntag. Mein Schwager, Oberstufenlehrer, zeigte uns ein erschreckendes Zeugnis des Zeitgeistes. Und so sieht es aus: Eine 13-jährige Schülerin hatte in einem Heft „Ich über mich“, das jeder Schüler anfertigen musste, ein Bild von sich geklebt, auf dem sie sich im Bikini in lasziver Pose auf dem Sofa räkelt. Im Steckbrief beschreibt sie sich unter anderem als „hübsch“, ihr Hobby ist unter anderem „Modeln“. Hübsch und modeln, das ginge ja noch. Aber das Bikini-Bild – mein erster Gedanke war: Ist das Jennifer Lopez als kleines Mädchen?

Es fanden alle am Tisch, dass der Lehrer das gegenüber der Schülerin ansprechen müsse, ihr klar machen, dass das nicht geht. Doch wie sollte er ihr die Gründe plausibel machen? Ihre Eltern hatten das Heft „Ich über mich“ unterschrieben, sie waren also einverstanden. Sollte er sagen, das Bikini-Bild sei zu intim? Sie könnte entgegnen, dieses Buch sei eben gerade sehr intim, nämlich eine Art illustrierter Steckbrief. Warum sollte sie einen Teil von sich verstecken? Er wird sagen, dass sie als halbnackte Lolita falsche Signale aussendet. Dass sie damit signalisiere, dass sie sich selber schön findet, und mehr noch: Dass die Schönheit ihr wichtig ist, für sie zentral ist, eine Kernkompetenz sozusagen. Nicht einfach eine natürliche Begleiterscheinung. Dass sie in erster Linie als schön wahrgenommen werden will, schlank, sexy. Dass die anderen ihren Fokus ruhig auf diesen Aspekt ihrer Persönlichkeit legen dürfen, weil er auch ihr selbst ganz wesentlich erscheint.

Sie wird vielleicht sagen: Was ist falsch an diesem Signal? Ich möchte Film- oder Musikstar werden, oder eben Fotomodell. Dann ist das doch die passende Einstellung, oder? Der Lehrer wird sagen: Vielleicht, aber wenn es mit der Modelkarriere nicht klappt, und ich empfehle Dir ohnehin dringend, vorher einen Beruf zu erlernen, dann kann dieses Bild von Dir hinderlich sein. Weil Du dann nicht als begabte Schülerin und potenzielle gute Lehrtochter wahrgenommen wirst, sondern als jemand, der zuviel Zeit mit Schminken und vor dem Spiegel verbringt. Er wird sie auch darauf aufmerksam machen, dass andere sie zum Objekt degradieren und den Respekt vor ihr verlieren könnten, auf dem Pausenplatz etwa, auch auf dem virtuellen, in den sozialen Medien, wo sie sich ebenfalls zeigt. Dass ihre Bilder und Videos herumgereicht und bei Gelegenheit gegen sie verwendet werden können. Dass sie darunter leiden wird.

Die Schülerin kann auf all dies entgegnen: Ist mir gleich. Interessiert mich nicht, was andere über mich denken. Sondern nur, was ich über mich denke, und vielleicht noch meine Familie. Sie wird vielleicht sagen, dass sie Model werden will, und eben keine Lehre machen will, dass sie an diesem Ruf feilt und jeder andere Ruf ihr egal ist. Vielleicht fragt sie: Haben Sie ein Problem damit, mich im Bikini zu sehen, Herr Lehrer? Was könnte man darauf noch entgegnen? Am Ende einer langen Debatte war ich unsicher, ob man das der Schülerin wirklich ausreden soll. Oder sie vielleicht nur auf die Gefahren von Cybermobbing, Stalker und Internet-Pädokriminellen aufmerksam machen muss.

Zum Glück ist meine Tochter selber der Ansicht, dass man sich nicht so ablichten sollte. Müsste ich sie davon überzeugen, ich würde um Worte ringen.


Claudia Blumer,
14.11.2017, 116. Jahrgang, Nr. 318.

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