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«Wandzeitung» vom 15.3.2017:

Die Inländer als Ausländer:

Der Rösti- und Polentagraben unter Auslandschweizern.

Bald findet in Petersburg wieder die traditionelle Deutsche Woche statt – eine Woche mit rund 100 Veranstaltungen aller Art, die den Russen Deutschland hautnah und aus den verschiedensten Perspektiven zeigt.

Jedes Mal spüre ich, wie Neid und Ärger in mir aufsteigen, dass so etwas von Schweizer Seite her nicht möglich ist. Weniger wegen des materiellen Aufwands, denn ganz untätig ist die Schweiz in Russland nicht. Die Kulturstiftung Pro Helvetia betreibt in Moskau ein Büro und organisiert zeitgenössische kulturelle Veranstaltungen in ganz Russland, wenn auch im "Giesskannenprinzip" und nie im selben Massstab.

Es ist mehr wegen meines Gefühls, aus einem geteilten Land zu kommen, dessen Sprachregionen sich nicht kennen und sich kaum für einander interessieren. Der beste Indikator dafür ist die verkrampfte Pflege des läppischen Banken-Käse-Uhren-Images – das einzige, was uns im Ausland zusammenhält. Es demonstriert die Hilflosigkeit der Landesteile, die zusammen auf die Bühne geschickt werden und ausser einem billigen Sketch nichts zustande bringen.

Auch ich bin ganz nach dieser Retorten-Haltung erzogen worden – das freudlose und weltfremde Schulfranzösisch hat mich dem Welschland mehr entfremdet als näher gebracht, mir mehr Ängste als Zutrauen eingeflöst. Vielleicht bin ich deshalb einem Tessiner gegenüber so viel entspannter, weil ich seine Sprache erst gar nicht kann. Ich kann ihn gleich ohne Umschweife als "Ausländer" einstufen und auf Englisch umstellen.

Ich spüre, dass der Rösti- und Polenta-Graben mich auch im Ausland verfolgt. So wenig mich mit meinen Landsleuten in der Heimat verbunden hat, so wenig gehen sie mich hier an. Das ist keineswegs abschätzig gemeint – man ist sich eben in aller Höflichkeit egal.

So ist es durchaus möglich, dass ich in Petersburg auf ein russischsprachiges Plakat stosse, das für ein "Schweizer Filmfestival" wirbt, von dem ich nichts weiss. Dann wird mir klar: "Vorführung auf Französisch mit russischen Untertiteln". Die Veranstaltung wurde von Westschweizern und ihren Kollegen aus Frankreich, Kanada, Belgien im Rahmen des Frankophonie-Festivals organisiert. Man lebt für sich und unter sich.

Den Gipfel an Fremdheit empfinde ich an der Bundesfeier auf dem Konsulat, wenn sich die kleine Schweizer Gemeinde versammelt. Das einzige Verbindende unter den Sprachgruppen ist dann, dass niemand den Text der Landeshymne kennt.

Nur den allerwenigsten gelingt es, den Graben zu überschreiten – momentan ist in Petersburg ein westschweizer Generalkonsul stationiert, der dank seiner vorzüglichen Deutschkenntnisse und seiner Offenheit ein brilliantes Beispiel abgibt. Kein Wunder – er hat eben auch einige Jahr in der Deutschschweiz gelebt und sich dafür interessiert, was dort geschieht.

Es ist genau dieses Interesse füreinander, das fehlt, weil es nie geweckt wurde. Und natürlich habe ich selbst zu wenig dafür unternommen, um mehr Brücken in die andere Welt im eigenen Land zu bauen. Das bereue ich jetzt.

 


Eugen von Arb,
15.3.2017, 116. Jahrgang, Nr. 74.

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