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«Wandzeitung» vom 15.11.2017:

Mordversuch an Journalistin gibt Russland zu denken:

"Worte zu Schwertern" geschmiedet.

Als am 23. Oktober die Journalistin Tatiana Felgengauer im Büro des kremlkritischen Radiosenders "Echo Moskaus" niedergestochen wurde, erstarrte die russische Öffentlichkeit vor Schreck. Nicht weil es der erste Mordversuch an einer Journalistin gewesen wäre, sondern weil der Täter so dreist und zielgerichtet vorgegangen war und weil kurz zuvor ihre Kollegin Julia Latynina knapp einem Brandanschlag auf ihr Auto entgangen war und darauf Russland fluchtartig verlassen hatte.

Wie sich herausstellte, hatte der 48-jährige Mann den Anschlag genauestens geplant. Nachdem er den Wachmann am Eingang mit Pfefferspray ausgeschaltet hatte, ging er direkt in die Redaktion und stach dort auf die Journalistin ein, die dem Tod nur um vier Millimeter entkam. Danach behauptete er, die Radiojournalistin habe ihn telepathisch verfolgt.

Obwohl Experten den Attentäter mit grösster Wahrscheinlichkeit als geisteskrank beurteilen, hatte sein zielgerichtetes Vorgehen sofort auf ein politisches Motiv schliessen lassen. Der Chefredaktor von "Echo Moskaus" Alexei Venediktow machte deshalb die Vergiftung des Klimas durch die kremlnahen Medien für den Anschlag verantwortlich.

Demonstrativ liess er kurz danach eine weitere Journalistin des Senders, die auf dem Radiosenders "Vesti FM" angefeindet worden war, ins Ausland "evakuieren". Von dort werde sie erst zurückkehren, wenn ihre Sicherheit in Russland gewährleistet werden könne, verkündete er. Gleichzeitig wurde die Frage laut, ob JournalistInnen kritischer Medien in Russland künftig bewaffnet werden sollen.

Die staatstreuen Medien konterten sofort - allen voran Dmitri Kiselew, Chef des Medienkonzerns "Russia Today" und Chef-Propagandist des Kremls. In seiner sonntäglichen Wochenrevue, in der er allen fernsehsüchtigen RussInnen politisch den Kopf zurechtrückt und gleich reihenweise Verschwörungen des State Department und des CIA aufdeckt, kommentierte er, der Radiosender "Echo Moskaus" habe selbst eine Atmosphäre des Hasses geschaffen. Eine wenig glaubhafte Aussage angesichts des "Gegeifere" Kiselews, dessen Formulierung, Russland könne die USA in "radioaktiven Staub verwandeln" schon zu geflügelten Worten geworden sind.

Bezüglich Grösse und Reichweite passt als Vergleich des kleinen Radiosenders mit dem staatlichen Medientrust am ehesten derjenige einer Maus mit einem Elefanten. Und wenn dort das politische Establishment kritisiert wird, so geschieht es mit wenigen Ausnahmen streng nach journalistischen Regeln, sauber recherchiert und auf Tatsachen beruhend oder getrennt kommentierend. Im Gegensatz dazu wird an den staatsnahen Sendern kaum mehr eine Meldung ohne politischen Unterton verlesen, und die Grenzen zwischen Meinung und Tatsachen werden sträflich vermischt.

Während des Wettrüstens in den Siebzigerjahren formulierte die Friedensbewegung den Begriff "Schwerter zu Pflugscharen". Heute werden "Worte zu Schwertern" für Medienkriege mit Worten geschmiedet.


Eugen von Arb,
15.11.2017, 116. Jahrgang, Nr. 319.

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