Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 28.4.2017:

Zu Herzen gehende Geschichten:

Was mich als Kinogänger berührt.

Schon als Kind habe ich es über alles geliebt, Geschichten erzählt zu bekommen, bei denen ich weinen oder lachen konnte. Das Sklavenschicksal in Onkel Toms Hütte – von meinen Eltern vorgelesen – hat mein Gemüt zu tiefst aufgewühlt. Der Roman Die schwarzen Brüder, der die schlimme Ausbeutung der Tessiner Knaben-Kaminfeger in Mailand schildert und den ein Primarlehrer für die Samstags-Schlussstunde ausgewählt hat, ist mir unter die Haut gegangen. Mit vielen Gestalten in den Erich-Kästner-Büchern, die ich selber verschlungen habe, konnte ich mich total identifizieren, so dass Emil oder Anton ein Stück von mir geworden sind. Später ist aus mir Bücherwurm, der ich in einem fernsehlosen Haushalt aufgewachsen bin, auch ein passionierter Kinogänger geworden. Wieder ist das, was mich in Filmen anspricht, nicht Nervenkitzel, action oder der pure Unterhaltungswert, sondern eine Story, die mich hineinzieht, in der ich gefühlsmässig mitlebe, kurz: die mein Herz berührt. Im Sommer hat mich jemand gefragt, welches denn die zehn besten Filme in meinem Leben gewesen sind. Über den Platz Nr. 1 in meiner Kino-Hitparade musste ich nicht lange nachdenken. Alexis Sorbas ist mir sofort in den Sinn gekommen, die Begegnung eines lebensfernen intellektuellen Engländers mit dem griechischen Lebemann und Draufgänger Alexis Sorbas, unübertroffen interpretiert von Antony Quinn. Die Szene, in der die Seilbahn während der feierlichen Segnung durch die Popen zusammenbricht, ein Mast nach dem anderen umfällt und Alexis mit dem Engländer am Meeresufer mit Leib und Seele Sirtaki tanzt, ist mir bleibend in Erinnerung. Und es ist wohl nicht schwer zu erahnen, welcher der beiden Hauptfiguren ich mich wesensverwandt gefühlt habe. Natürlich suche ich als Theologe aus Leidenschaft in Filmen auch immer nach Spuren der anderen Dimension. An einem Karsamstagnachmittag (wohl 1989) habe ich Dead Poets Society (Club der toten Dichter) gesehen, der vom beeindruckenden Lehrer Mr. Keaton handelt, von Robin Williams meisterhaft gespielt. Da ich damals hauptsächlich als Religionslehrer unterwegs war, habe ich mich im alternativen College-Schulmeister als meinem Pädagogen-Ideal wiedererkannt. Doch so kurz vor Ostern ist mir zudem besonders die Christus-Ähnlichkeit dieser Film-Geschichte nahegegangen – da wird im Lehrerschicksal eine Analogie zu Passion und Auferstehung Jesu skizziert. Im letzten halben Jahr hat mich der Schweizer Animationsfilm Ma vie de courgette (Mein Leben als Zucchini), der sogar Oskar-nominiert gewesen ist, in spezieller Weise berührt. Ein zehnjähriger Junge, der unabsichtlich seine trinkende Mutter tötet und auch seinen Vater nicht kennt, kommt in ein Heim. Der Rädelsführer dort fasst die Situation aller Heim-Kinder so zusammen: «Wir sind alle gleich; es gibt niemanden. der uns liebt.» Zart, vielleicht stellenweise auch etwas kitschig, stellt der Film die Sehnsucht dieser Buben und Mädchen nach bedingungslosem Angenommen-Sein dar. Aber ist die Suche nach unbedingter Liebe nicht überhaupt ein menschliches Grundmotiv? Und deutet sich darin nicht die Ausrichtung unseres Innersten auf die andere Dimension hin an? Die Geschichte von Courgette ist mir zu Herzen gegangen.


Hugo Gehring,
28.4.2017, 116. Jahrgang, Nr. 118.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.