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«Wandzeitung» vom 24.12.2017:

Wo bleibt der Gasfuss?

Über die Balance im Leben.

Mein 20. Lebensjahr habe ich bereits vollendet, und ich habe mich nun endlich getraut, mich hinter das Steuer eines Autos zu setzten. Es brauchte halt nicht nur Mut, sondern auch die Motivation, endlich die Theorieprüfung abzulegen, da der Nothelfer schon im 2016 absolviert wurde und die Zeit langsam drängte.

Nun bin ich zwar erst zweimal auf einem fast leeren Parkplatz in dem betagten Seat Leon meiner Schwester herumgekurvt – oder doch eher geholpert – aber einiges habe ich bereits gelernt. Meine grösste Schwester, welche sich als treue Privat-Fahrlehrerin freiwillig gemeldet hat, erklärte mir zwei Sonntagnachmittage lang, wie wichtig die Balance ist. Die Balance zwischen dem gleichmässigen Loslassen der Kupplung und des rechtzeitigen drücken des Gaspedals.

Meine Angst vor dem Autofahren machte sich schnell bemerkbar, da sich mein rechter Fuss, welchen wir liebevoll den Gasfuss getauft haben, weigerte, wirklich Gas zu geben. "Wo bleibt der Gasfuss?", rief meine Schwester, also mit einem schiefen Grinsen, als mir der Wagen zum gefühlt hundertsten Mal abstarb. "Der will nicht. Wir möchten nicht Gas geben.", erwiderte ich niedergeschlagen und startete das Auto erneut.

Nach und nach fand ich aber die Balance zwischen Kupplung und Gas – und siehe da – wenn man etwas mehr Gas gibt, klappt das Ganze schon viel besser. Diese ersten Fahrstunden haben mich etwas zum Nachdenken gebracht. Wie wir auch im Erwachsenenalter immer wieder Neues lernen und wie wir uns immer wieder bewusst werden müssen, wie wichtig ein gewisses Gleichgewicht im Leben ist.

Zum Beispiel die sogenannte "Work-Life-Balance". Dieser Begriff wird heutzutage jedem bekannt sein. Eigentlich ist er ja selbsterklärend: Es muss eine Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Freizeit herrschen. Zu viel Arbeit kann zu Krankheit oder gar zu einem Burnout führen. Zu viel Freizeit hingegen … Moment mal, gibt es das überhaupt? Nun, sagen wir einfach mal, zu viel Freizeit kann zu Produktivitäts-Nachlässen und Langeweile führen. Des Weiteren wurde mir beim Babysitten meiner Nichte und meines Neffen einmal mehr bewusst, dass auch ein Ausgleich zwischen ja und nein stattfinden muss. Wie schwer das Nein-Sagen manchmal auch ist, notwendig ist es allemal. Denn wo wären wir denn heute, wenn wir nie gelernt hätten, mit Ablehnung konfrontiert zu werden. Umso mehr erfreut man sich dann daran, wenn man mit einem freudigen Ja ein Lächeln auf die Gesichter der Kleinen zaubern kann.

Und so versuchen wir Tag für Tag ausgeglichen durchs Leben zu gehen, was, wenn man alles rundherum in Betracht zieht, gar nicht so einfach ist. Es ist wahrscheinlich sogar unmöglich, dass wir diese Balance tatsächlich immer beibehalten. Und dann kommt es durchaus vor, dass uns der gute alte Seat Leon hie und da abstirbt und wir von vorne beginnen müssen. Aber eines sage ich Ihnen jetzt schon – nach bestandener Fahrprüfung besorge ich mir einen Automatik Wagen.

 

 


Nicole Langhart,
24.12.2017, 116. Jahrgang, Nr. 358.

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