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«Wandzeitung» vom 3.7.2014:

H&M oder H&R?

Winterthur - eine Kulturstadt?

H&M gibt es weltweit 3300 Mal, allein in der Schweiz 83. Wir wissen es: Frauen kleiden sich gerne dort ein, ob es sie schöner macht, sei dahingestellt. Aber der Bekanntheitsgrad der Marke ist gegeben: Man, ja auch Mann weiss, was das ist. Hennes und Mauritz, das gibt abgekürzt H&M. Aber H&R? Gibt es nur einmal, das kennt niemand. Die Ausstrahlung ist mindestens ebenso stark und weltweit wirksam.

Man hört das oft: Winterthur ist eine Kulturstadt. Wir haben Museen, ein Konservatorium, ein Orchester, Musikclubs, Hochschulen und vieles mehr, das den Ruf Winterthurs als Kulturstadt sichert. Doch ohne H&R hätten wir weder die Musikschule noch das Konservatorium und auch ein paar Museen nicht. Dann wäre Winterthur vielleicht eine «Büezerstadt». – H und R, das sind die Sammler erster Stunde, die Hahnlosers und die Reinharts. Das Museum Oskar Reinhart und das Römerholz, das «alte» Konservatorium sind wegen des Reinhart-Clans da. (Ein kleiner Einschub: Viktor Bühler hat ebenso gesammelt, hatte dann aber geschäftliches Pech und musste seine bedeutende Sammlung verkaufen). Industrielle, die Kunstsinn hatten und den auch auszuleben wussten, und dazu die nötigen Mittel besassen, kauften zum Teil direkt bei den damals lebenden Künstlern ein. Die Sammlung von Oskar Reinhart im Römerholz gehört zu den bedeutendsten Kunstsammlungen überhaupt. Reinharts Ehrgeiz war es, stets nur die besten zu seiner Zeit erreichbaren Meisterwerke zu erwerben. So gelang es dem Winterthurer Kaufmann, ein Konzentrat der europäischen Kunst zusammenzutragen, das weltweit zu den besten seiner Art gehört. Der Besucher findet im Museum europäische Kunst vom 14. bis zum frühen 20. Jahrhundert.

Die Villa Flora gäbe es ohne die Hahnlosers nicht. Sie war bis vor einigen Jahren eine private Sammlung, die vom Ehepaar Hahnloser zusammengetragen worden war. Wir fanden bis vor einigen Wochen dort Meisterwerke von Cézanne, Renoir, van Gogh, Hodler, Vallotton und anderen berühmten Malern. Nun ist die Villa Flora geschlossen – bis auf weiteres. Die Stadt Winterthur sah keine Möglichkeit, die für den Weiterbetrieb nötigen 600 000 Franken aufzubringen, das heisst, sie hat sie lieber anderswo ausgegeben, wobei Kennern klar ist, dass man die Finanzen sehr wohl anders hätte aufteilen können. Viele Leserbriefe haben in den letzten Wochen die harten Sparmassnahmen der Stadt kritisiert und zum Teil originelle Alternativen vorgeschlagen. Die Stiftung hat das einzig richtige getan: Sie hat das Museum geschlossen, und die Bilder werden in europäischen Städten gezeigt, eventuell auch in Japan.

O.k., wir haben noch andere Museen und Organisationen, die nicht von H und R abhängen, zum Beispiel das Kunstmuseum mit seinem aktiven Galerieverein, das Gewerbemuseum, das Museum Briner und Kern. Die Sammlertätigkeit und die Grosszügigkeit von H und R jedoch bleiben unerreicht – ohne sie hätte Winterthur nicht diesen grossartigen Ruf als Kulturstadt.

PS: Von Theater und Oper kann ich leider gar nichts schreiben – eine reines Tourneetheater wie Winterthur es betreibt, ist keine Kulturtat und trägt nichts zum guten Ruf Winterthurs bei.

 

 


André Bernhard,
3.7.2014, 113. Jahrgang, Nr. 28.

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Standpunkte:

28.7.2014, 16:24 Uhr.

Benedikt Zäch schrieb:

Man kann die Geschichte des Mäzenatentums in Winterthur eng sehen. Dann redet man von H&R. Man könnte sie etwas breiter sehen, dann gehörten andere Namen des 19. und 20. Jahrhunderts hinzu, z.B. Vater und Sohn Imhoof-Hotze und Imhoof-Blumer. Ohne sie gäbe es kein Stadthaus mit Freitreppe, kein Münzkabinett und kein Museums- und Bibliotheksgebäude. – Aber wir sind nicht mehr im 19. oder 20. Jahrhundert, sondern im 21. Jahrhundert, und diese Mäzene gibt es so nicht mehr. Was an Kulturerbe durch Winterthurer Grossbürger geschaffen wurde, ist heute die Sache und Sorge vieler Winterthurerinnen und Winterthurer. Es ist der gewachsene Teil dessen, was die Kulturlandschaft Winterthurs aus- und besonders macht: weder einfach «museal» noch einfach «aktuell» ist, sondern Tradition und Innovation verbindend und austauschend, in der Musik, dem Film, dem Theater und in der bildenden Kunst. Genau das – wir vergessen das zu oft macht Winterthur auch für Nicht-WinterthurerInnen interessant. Ob wir dafür Sorge tragen oder es vernachlässigen, bestimmt mit, wie gut es Winterthur auch künftig gehen wird.


7.7.2014, 12:24 Uhr.

Fredy Ott schrieb:

Lieber André Bernhard: Als Theaterbegeisterter und als ehemals leitender Mitarbeiter des Theaters Winterthur muss ich widersprechen. Viele begeisterte Zuschauer freuen sich immer wieder, an diesem Haus hochklassige Aufführungen besuchen zu können. Zwar keine Eigenproduktionen, aber trotzdem: Kultur.


4.7.2014, 07:01 Uhr.

Matthias Erzinger schrieb:

Einfach zur Erinnerung: Es geht bei der Villa Flora nicht um einmalig 600 000, sondern jedes Jahr, wiederkehrend. Jede konkrete Sparmassnahme ist immer für jemanden am falschen Ort gespart. Vielleicht müsste man einfach mal einsehen – auch bei den etablierten Kulturkreisen – dass Steuererhöhungen notwendig wären. Es ist einfach immer mehr Steuersenkungen zu fordern und dann gleichzeitig zu beklagen wenn irgendwo gespart wird.Interessant ist, dass zum Beispiel die GLP, die an vorderster Front das Sparen predigt, sich gleichzeitig dagegen wehrt, dass Steuerhinterzieher effektiv zur Rechenschaft gezogen werden können. (TA vom 4. Juli 2014). Und der Sidekick gegen das Winterthurer Theater ist auch unnötig: Das Winterthurer Theater ist sehr wohl auch eine Kulturtat, einfach eine, die anders arbeitet. Das gegenseitige Kritisieren innerhalb der Kulturszene bringt nichts.


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