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«Wandzeitung» vom 10.4.2017:

EIN SATZ:

Digital.

Die Stärke der Millionen beruht auf den Nullen. GABRIEL LAUB.

Die Frage, wann das digitale Zeitalter begann, ist auf den ersten Blick einfach zu beantworten. Wir stecken angeblich mitten drin. Und die Phänomene der Postmoderne begannen vermutungsweise im letzten Jahrhundert, sodass der Beginn des digitalen Zeitalters irgendwann zwischen Jugenstil und Hiphop zu verorten ist.

Auf den zweiten Blick ist die Antwort unendlich schwieriger. Denn Digitalisierung bedeutet ja bloss, einen Prozess in seine einzelnen Schritte zu zerlegen. Und das tat schon der Neandertaler. Nicht wenn er das Fleisch vom Knochen des Bären abnagte, aber wenn über die Bärenjagd nachdachte. Und das tat er, sonst hätte er sich beim Auftreten eines Hungerasts im besten Fall an den möglicherweise giftigen Pilzen vor der Höhle, im schlechtesten an seinen Artgenossen gütlich getan. Dass er aufbrach, um stundenlang einem Bären nachzupirschen, ist nicht darauf zurückzuführen, dass er von Angehörigen seiner Sippe mit der Keule aus der Höhle genötigt wurde, sondern darauf, dass er darüber nachdachte, welche Nahrungsbeschaffung sich zu seiner und seiner Sippe Sättigung am besten eignet. Selbstredend auch unter dem Eindruck, dass sie gegen ihn die Keule erheben würde, sollte er ihre Sättigung vernachlässigen.

Schon der Entscheid zur Jagd war Digitalisierung, wenn auch der Höhlenmensch noch nichts davon wusste, dass man jede Information auf die Spannungszustände «aus» oder «ein», mithin 0 oder 1 zurückführen kann. Und damit auch die komplexesten Gedankengebilde, welche damals noch nicht und heute nicht mehr en vogue waren bzw. sind, mit einem einfachen «ein» oder «aus» abbilden lassen. Diese geniale Schlichtheit kommt der Bequemlichkeit jeden Lesers einer abonnierten oder am Bahnhof verteilten Gratiszeitung entgegen, wenn auch nur schon die binäre Codierung von 20 Minuten als 001100100011000001101 10101101001011011100111010 1011101000110010101101110 den mit einer kurzen Denkspanne versehenen Leser überfordert. Den Rahmen dieser Betrachtung sprengt der Umstand, dass Blick am Abend binär 0000000001100 01001101100011010010110001 1011010110110000101 1011010 11000010110001001100101011 0111001100100 lautet und somit deutlich mehr Nullen enthält. Unabhängig vom Nullenaufkommen ist bei beiden Kulturerzeugnissen der Leseranteil um 8 % zurückgegangen. Ob deswegen Anlass zum Frohlocken besteht, sei nur schon aus purem Kulturpessimismus bezweifelt.

Nur in Talkshows kann man um den Brei herum- oder neben dem Brei vorbeireden. Wenn es an der Tür klingelt, habe ich nur die Wahl zu öffnen oder nicht. Wenn es das Russeninkasso mit der Kalaschnikow war und ich mich für nein entschieden habe, wird es kompliziert. Und bei ja schmerzhaft.

Die Komplexität des Lebens muss immer wieder auf einen von zwei Spannungszuständen reduziert werden. Deshalb wurde ein unabhängiger Grüner – was ist das denn? – in Österreich als Bundespräsident gewählt. Und nicht etwa, weil die Rechtspopulisten zurückgedrängt wären. Wer das schreibt – und wer tut das zur Zeit nicht – hat schlicht nicht nur ein paar Nullen zuviel in seinem Binärcode.

 


Adrian Ramsauer,
9.12.2016, 115. Jahrgang, Nr. 344.

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