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«Wandzeitung» vom 13.4.2017:

Wie die italienische Schweiz zu Friedrichs geliebtem wie gefürchtetem Fluchtort wurde:

«Bel Ticino, sono innamorato di te.»

Friedrich kommt aus einer erbärmlichen Winterthurer Familie in den Fünfzigerjahren mit fünf Kindern. Erbärmlich, weil der nicht berechenbare, brutal gestörte hassprügelnde Vater jede gemeinsame Sekunde auf Draht war, allemal eine Chance sah, seinen doofen Sohn Friedrich zu schlagen, wenn es ihn danach dürstete. Und er schien sich fast jederzeit nach brutalen Schlägen zu sehnen. Der Junior hatte gar keine Chance, etwas falsch zu machen, auch nichts richtig: jeder Atemzug war übel. Der siebenjährige Fritz hätte nichts tun sollen: weder einatmen noch ausatmen, gewiss keinen Augenaufschlag wagen, keine Bewegung inszenieren – einfach nur nicht wahrnehmbar sein! Wenn der Alte durchdrehte, dann war der in Tötungswut. Er schlug so heftig auf sein eigenes siebenjähriges Fleisch und Blut ein, dass diese hilflose Ware vor der Dusche flehte, die Prügelei, noch lieber das Leben, möge einfach aufhören. Sofort! Der Bub spürte, dass ihn der kommende Schlag tötet. Das muss die verängstigte Mutter gespürt haben. Sie wagte es, ihre schützende Hand vor die schmerzenden Innereien des Knaben zu halten. Der Brutalo wurde weich, hielt den ultimativen Todesschlag zurück, und was in ihm vorging, war schwer zu erahnen. Er war achtzehnjährig und Filialleiter in einer Winterthurer Coop-Filiale, musste indes bei jedem Essen den Kopf senken, damit es keinen Augenkontakt mit seinem Psychoerzeuger gab. Zu allem Übel wurde er auf seiner Vespa ohne Schuld auch noch von einem Automoblisten frontal abgeschossen, weil der sein Licht als reflektierende Helle in der Dunkelheit wahrnahm. Er musste sich mit schmerzhaften Verletzungen an den Beinen während dieser Zeit allemal zuerst an den Familientisch setzen, damit der böse Alte ihn nicht hinkend wahrnahm. Wen wundert’s, dass F im jugendlichen Alter einen jährigen Sprachaufenthalt am Luganersee, dem Leben in der Eulachstadt vorzog. Er lebte bescheiden und lebensfroh, konnte mit den wenigen Batzen das geniesserische Leben des Südens pflegen. Er wollte als Zucchino Tag für Tag viel führen und leisten, Zucchino, weil wir Deutschweizer Gurken angeblich nicht von Zucchetti unterscheiden können. Dafür wurde F irritierenderweise regelmässig kritisisert. Und er glaubte selbstkritisch, dass er dem Chef einfach nicht genügte, suchte unentwegt im grossen Gebäude nach Arbeit und fand auch viel. Aber nicht genug. Deshalb kehrte er zurück in seine Heimat, wurde bald schon Filialleiter im Coop Mattenbach. Weil ihm auch das nicht genügte, wurde er nach kurzer Zeit und über viele Jahre leidenschaftlicher selbständiger Unternehmer in der Kommunikations- und Medienbranche.

Aber! Wenn immer er im Norden der Schweiz die kühle Luft ums Herz fühlt, plagt ihn die Sehnsucht nach seinem geliebten Süden, konkret: nach Lugano. Fritz ist ein unberechenbares Fluchttier. Ist er voll von kalter Deutschschweiz und irgendwelchen Ängsten, flieht er nach Lugano, der Stadt seines Herzens. Wenn ein Mensch sein Herz an ein Ideal oder durchaus auch an eine Region verliert, dann ist es die herrlichste Art zu entdecken, dass man überhaupt ein Herz hat. Und auf diesen Teil des Körpers sollte der Gesamtmensch allemal hören. Vernunft kommt nach dem Gefühl! Ja, ich schenke mein Herz meinem geliebten und überaus lebensfrohen Tessin. Da ist Lebenswärme.


Guido Blumer,
13.4.2017, 116. Jahrgang, Nr. 103.

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