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«Wandzeitung» vom 30.8.2017:

Wer Freunde wie Exoten herzlich anspricht und anstrahlt, macht mindestens zwei Menschen froh:

Ein wunderbarer Sommer am Graben.

Zum ersten Mal in meinem 65-jährigen Leben habe ich fünf Wochen Ferien mutter- wie vater- und kinderseelen allein verbracht. Das ist mir – dem sechsfachen Papa – erstaunlich leicht gefallen, ist doch üblicherweise mit meinen vielen lieben Kindern stets was los. Doch als Papa will ich freilich souverän sein und meinen Nachkommen nicht in der Seele rumhängen. Dennoch habe ich mir vor den Sommerferien Gedanken gemacht, wie ich diese doch recht lange Zeit mit freiem Herzen und wachem Verstand sorglos und lebensfroh erleben kann, ohne mich einsam zu fühlen. Im Alltag ist es ja so, dass meine Jüngste, die elfjährige Tochter, so vertraut mit mir ist und umgekehrt, dass wir einen Alltag gemeinsam so erleben, dass wir gar nicht mehr unbedingt miteinander sprechen müssen, sondern einfach fühlen, was im Moment grad gang und gäbe ist. Es gibt dazu indes keinen Widerspruch, dass mir meine liebe Kleine das von ihr Erlebte, allemal detailgetreu erzählt – und der Papa beim gemeinsamen Kochen, Essen wie dem Abräumen gerne das Ohr leiht. Zuhören, behauptet Anonymus, ist das beste Mittel gegen Einsamkeit, Geschwätzigkeit Kehlkopfkatarrh. Beobachten und wahrnehmen ist wohl die Ergänzung dazu. Relevant ist, gemäss Wilhelm Lichtenberg, nur das, woran wir uns übermorgen beim besten Willen nicht mehr erinnern können. Nehmen wir das demnach ganz gelassen.

Also habe ich mir vorgenommen, dass ich – nicht wie ich es bislang tat – die mir begegnenden Menschen am Obertor mit einem Lächeln grüsste. Mein Ehrgeiz war und ist es nun, dass ich Leute konkrete Komplimente mache. So stand, als Beispiel, beim Tibits ein nicht mehr ganz junges Paar mit dem Velo. Der Mann stand auf der Seite des Unteren Grabens, die Frau beim Oberen Graben. Sie flierteten so rührend miteinander und sie küssten sich zärtlich, so dass ich auf sie zuging und sagte: ”Sie sind so liebevoll zueinander, machen allen umstehenden Leute eine grosse Freude. Danke schön.” Freilich strahlten alle Menschen rundum. Was gibt es denn Schöneres?

An einem hundsgewöhnlichen Ferienabend sprach ich mit dem Rücken zum Factory einen Mann an, der an einem Zweiertisch sass. Ich nahm ihn blitzartig als Deutschen wahr, und fragte ihn, ob ich mich zu ihm setzen dürfe. Er sagte-fragte verblüfft: “Aber Sie sind doch Schweizer?” – “Was meinen Sie damit?” – “Schweizer sind wahrlich sehr zurückhaltend?” – “Ja schon, aber ich habe auch deutsche Wurzeln. Mein Grossvater lebte in Rotenburg ob der Tauber, reiste 1910 nach Winterthur, und wohnte am Holderplatz, richtete sich hier sein Schneideratelier ein. Er ist leider vier Jahr vor meiner Geburt gestorben. Wir diskutierten über Dauer unterm Beizenschirm, in empathischter Weise, und verstanden uns wie Brüder. Herr Schwarz aus Mannheim kam mit einem Supervelo daher, fuhr aus seiner Geburtsstadt bis nach Winterthur, und verliess unsere Baumstadt erst, nachdem er mir überraschend sagte: “Lassen Sie sich bitte von mir drücken.”

Mich hat diese Begegnung sehr berührt, wie all die anderen tiefgündigen Gespräche im Raum Obertor und Graben, mit divergenten hiesigen Personen, haben mir diesen Sommer zum schönsten meines Lebens gemacht, weil allemal mindestens zwei Personen frohen Herzens waren. Danke schön.


Guido Blumer,
30.8.2017, 116. Jahrgang, Nr. 242.

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