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«Wandzeitung» vom 10.1.2018:

Kerzengerade und frisch geputzt steht sie da:

Die Wand.

Kerzengerade und frisch geputzt steht sie da. Für das neue Jahr hat sie sich chic gemacht. Geschrubbt, gefegt, gewaschen und nun strahlt sie. Ein gutes Gefühl.

Die neben ihr ist noch ganz grau und dreckig, kein Mensch würde sie bemerken. Aber sie, sie würde man schon bemerken. Was war das? Iiiih! Ein dicklicher Dackel trappt in ihre Richtung. Hunde, egal ob gross, schwarz, klein oder schlank sind ihr Graus. Sie stinken und noch schlimmer, sie bringen sie zum stinken. Der Dackel wedelt mit dem Schwanz, riecht an ihr und will schon das rechte Hinterbein aufheben, da wird er zügig weggezogen. Sie atmet auf. So ein Glück auch. Die nächste Szene gefällt ihr schon viel besser. Ein junges Liebespaar umarmt sich innig und es wird auch wild geknutscht. Ich werde dich für immer lieben, flüstert der junge Mann der Frau ins Ohr. Ich werde dich für immer lieben und immer für dich da sein. Immer, ein starkes Wort, denkt sich unsere Wand. Always, das wurde früher oft auf ihr gesprayt. „Always be yourself“, oder „always young at heart“, wobei hier ein „forever“ angebrachter wäre, doch man will ja nicht pingelig sein. Überhaupt, beim Sprayen wird mehr auf die Ästhetik als auf die Grammatik geachtet. Das schwerverliebte Paar hat sich entfernt, nun steht ein Mann mit Glatze und Flyers auf denen „No Billag“ steht vor ihr. „Stimmed sie am 4. März ja zur No Billag, jetzt isch gnueg mit dene Staatsmedie, wo nur linki Journaliste istellet und Unwarheite verbreite“ schreit der schlecht gekleidete Mann und will die Passanten mit Flyers bestücken. Die meisten lehnen ab und machen einen grossen Bogen um den Mann, der immer röter wird durch das viele Schreien. Die Wand versteht nicht viel von Politik, doch ein Paar Sachen irritieren sie dann schon. Der Titel der Initiative ist verwirrend. Was soll man nun, ja zu nein oder nein zu ja stimmen? Und was für Staatsmedien meint der Mann da? Es gibt doch keine Staatsmedien in diesem Land. Es gibt die SRG, doch die gehört beim besten Willen nicht dem Staat. Die Wand wünscht sich, der Mann würde gehen. Er nervt sie. Fast noch mehr als der Dackel. Zum Glück scheint sich niemand für den schreienden Mann zu interessieren, der dann mit den Achseln zuckt, etwas von „das idiotische Volk“ und „jede berchunt das woner verdient“ murmelt und Richtung Bahnhof verschwindet.

Es wird dunkel und die Wand beginnt zu leuchten. Nun, eigentlich leuchten die Fenster der Wohnungen, aber die Wand betrachtet sich als ganzes. Sie erinnert sich daran, an damals als sie noch grau und dreckig und voll Graffitis „Fuck the System“ und irgend Parolen gegen Polizisten und für mehr Anarchie war. Nicht dass sie per se für das System sei, aber eine Wand will auch schön sein, strahlen, sauber glänzen. Da passt Anarchie schlecht dazu. Jetzt im neuen Jahr strahlt sie wieder. Statt Parolen zieren Worte in einem Wandkasten ihre Fassade. Die «Wandzeitung» und die Wand sind ein Hingucker, für Auge und Geist. Und das gefällt der Wand sehr.


Oriana Ziegler-Somarriba,
10.1.2018, 117. Jahrgang, Nr. 10.

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