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«Wandzeitung» vom 15.1.2018:

100 Jahre ohne einander:

Finnland feierte seine Unabhängigkeit von Russland.

Während 2017 in Russland und der übrigen Welt das düstere "Jubiläum" der Oktoberrevolution dominiert, beschäftigte die Finnen – ihre hundertjährige Selbstständigkeit. Prächtig und ausgelassen und gleichzeitig still und bescheiden feierte der nördliche Nachbar Russlands den 100. Jahrestag seiner Loslösung vom russischen Imperium. Die Schokoladenfabrik Fazer gab Sondertafeln mit dem "100 Jahre -Signet" heraus, Ausstellungen, Konzerte wurden organisiert.

Ich hatte die Gelegenheit, an diesem historischen 6. Dezember in Finnland zu sein und wurde von russischen Freunden eingeladen, die bereits seit vielen Jahren in Finnland leben. Auf dem Tisch stand eine prächtige "Suomi-Torte" – ganz dem Trend entsprechend, an diesem Tag alles weiss-blau anzumalen oder zu beleuchten.

Der alljährliche Ball im Regierungspalast von Helsinki wurde diesmal mit besonderem Aufwand gefeiert, die Bucht von Helsingfors von einem grossen Feuerwerk beleuchtet. Per Beamer konnten wir den Empfang durch Staatspräsident Sauli Niinistö mit mehr als 2000 Gästen mitverfolgen: ehrwürdige VeteranInnen, knallbunte Popstars, kostümierten VertreterInnen aller Volksgruppen, sowie ordensbehängte Persönlichkeiten aller Klassen. Wer von ihnen das originellste Abendkleid trug, wurde per Rating ermittelt.

Finnland musste seit jeher zwischen den Machtblöcken um seine Existenz kämpfen – zuerst zwischen den Russen und Schweden, später zwischen der Sowjetunion und dem Westen. Man sagt, die Russen hätten nie vergessen, dass sich die Finnen 1917 als einziges Kronland die "Erlaubnis" für ihre Unabhängigkeit holten.

Lenin soll die Unabhängigkeitserklärung mit einem Lächeln unterzeichnet haben – mit der Gewissheit, dass sich in Finnland bald die Revolution fortsetzen würde. Tatsächlich löste ein sozialistischer Umsturzversuch einen dreimonatigen Bürgerkrieg aus, der jedoch scheiterte.

1939 wollte Stalin Finnland zurück. Doch Finnland verteidigte sich verzweifelt, wenn auch geschickt. Die kleine finnische Armee erzielte beachtliche Erfolge gegen die weit überlegenen sowjetischen Panzerarmeen. Das verschaffte den Finnen Respekt bei den Russen, die zwar Karelien schluckten, aber nicht ganz Finnland wie ursprünglich vorgesehen.

Um die verlorenen Gebiete zurückzubekommen, gingen die Finnen 1941 einen Pakt mit Hitler und seiner Wehrmacht ein. Allerdings rückten sie nie weiter als bis zur früheren Grenze vor. 1944 retteten sie in einem Separatfrieden mit der Sowjetunion gegen die Deutschen ihre Haut. Finnland blieb frei, wenn auch neutral und durch Abkommen an die Sowjetunion gebunden.

Als junges EU-Land gilt es heute in vieler Hinsicht als Vorbild. Vor allem aber ist es das einzige westliche Land, das trotz der politischen Krise gutnachbarliche Beziehungen zu Russland pflegt. Nach wie vor lehnen die meisten Finnen einen Nato-Beitritt ab. Man liebt sich nicht unbedingt, aber man respektiert und schätzt sich sogar in vielerlei Hinsicht. Das Denkmal für den Reformer-Zaren Alexander II steht noch immer auf dem Senatsplatz von Helsinki. Finnland konnte überleben, dank viel Mut und Standhaftigkeit, aber eben auch durch Schlauheit und Genügsamkeit.


Eugen von Arb,
15.1.2018, 117. Jahrgang, Nr. 15.

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