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«Wandzeitung» vom 18.4.2018:

Alltägliches:

Komplett verpeilt.

„Denn sie wissen nicht, was sie tun.“ – Der Klassiker mit James Dean. Während das Motto des letzten Jahres nach meinem Burnout „Entschleunigung“ war, ist es dies Jahr wohl „Komplettverpeilung“. Ich nenne es die wohl lästigste Begleiterscheinung meines Hirnbrandes, währendessen es mein Bruder tapfer eine Zeiterscheinung nennt. Darum reihe ich diesen Text mutig unter „Alltägliches“ ein.

Ich glaube fast, meine Türschwelle hat ein Löschsystem eingebaut. Sobald ich einen Raum verlasse, weiss ich nicht mehr warum. Setze ich in der Küche Wasser auf, fällt es mir erst wieder ein, wenn es hörbar von nebenan her blubbert. Hab ich die Fenster zum lüften geöffnet, hilft mir der kalte Luftzug mich zu erinnern. Mein Umfeld weiss inzwischen, dass wenn ich Kühlschrank sage, es in Wirklichkeit der Briefkasten sein könnte. Meine Sprachfindungsstörung, vor allem am Abend ausgeprägt, sorgt für manchen Lacher beim Znacht. Doch so lustig finde ich es nicht immer und ich bin nicht die einzige, die sich Sorgen macht. Als ich kürzlich – willentlich – schnell im Pyjama und Wintermantel zum Bahnhof eilte, schüttelte eine Freundin traurig den Kopf. Mein Sohn nannte es hoffnungsvoll: „Modern!“ Er kennt mich schon von besseren Zeiten her als verrücktes Huhn.

Wenn ich vorsorglich versuche eins nach dem andern zu machen, hüpfen meine Gedanken hyperaktiv im Dreieck. Wenn es nachts deswegen nicht schlafen will, lege ich mich tagsüber hin. Man entwickelt „so na-dis-na“ seine Strategien. Verdrängen hilft dabei nicht. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich vielen Menschen bei ihren Angelegenheiten behilflich bin. Ich überlege gern lösungsorientiert und habe darum meine Anhänger. Böse Zungen nennen es Helfersyndrom, ich lieber Herausforderung. Kein Wunder brauche ich derzeit mehr Ruhe und Geduld für mich selber. Ich bin dabei gar nicht so alleine. Vor allem andere „Miterzieher“ sind gut mit dabei, mit der chronischen Vergesslichkeit.

Vorhin sah ich einen alten Mann zittrig an einem Zahlenschloss hantieren. Er versuchte in seine Baustelle zu gelangen. Das Haus wird renoviert und er wollte nach dem rechten sehen. Ich fragte ihn, ob ich ihm helfen könne, da er sich immer wieder verzweifelt umsah. Vertrauensseelig gab er mir die Zahlenkombination bekannt und bat mich, das Ding so einzustellen. Daneben hatte es eine kleine schwarze Klappe, an der er immer wieder zog. Ich machte es ihm nach und meinte, sie müsse wohl einrasten, damit sich die Tür öffne. Aber sie spickte immer wieder zurück. Wir stellten die Zahlen zurück und wieder neu ein. Und ich „chüngelte“ am schwarzen Teilchen rum. Zuerst brach ich mir den Zeigefingernagel, dann den Mittelfingernagel ab. Als ein Mann mit Hund vorbei kam rief der lustig: „Einbrechen verboten!“, er kannte den Alten. Ich bat ihn uns zu helfen und hatte gleichzeitig eine Idee. Ich drückte einfach mal die Türklinke runter … Mehr brauch ich da wohl nicht zu sagen … Das Schlimme ist, dass ich in Gesellschaft anderer „Hirnlosen“ denen einfach willig folge … Eigentlich könnte ich nun jederzeit in jenes Haus einsteigen – hätte ich die Zahlenkombination nicht gleich wieder vergessen.


Momo Appenzeller,
18.4.2018, 117. Jahrgang, Nr. 108.

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