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«Wandzeitung» vom 12.7.2018:

Nicht jedes Kind, das in der Schule negativ auffällt, hat ADHS:

Wider die Kategorisierung.

Mein Gottebueb war schon als Baby und Kleinkind sehr lebendig. Ich erinnere mich an einen Abend, als ich ihn hütete. Es war schon gegen 22 Uhr und ich war müde. Er hingegen zog sich an den Holzstäben seines Bettchens hoch und schrie lauthals. Ihm war nicht nach schlafen. Er wollte spielen. Als er reden konnte, wurde es nicht besser. Als ich einmal auf ihn aufpasste, schlief er fast stehend ein. Bis er nach einem Joghurt verlangte. Nach dieser Zwischenmahlzeit war er von einem Moment auf den anderen wieder voll da und spielte.

Heute ist er sieben Jahre alt. Er schwimmt wie ein Fisch, geht ins Turmspringen und fährt gerne Velo. Noch immer ist er voller Energie und setzt gerne seinen Willen durch. Aber man kann auch mit ihm diskutieren. Wenn man ihn von etwas überzeugt, macht er mit. Letzthin haben mein Freund und ich ihn gehütet. Auf dem Weg ins Schwimmbad liess er uns an den Blumen riechen, an denen auch er immer riecht. Im Schwimmbad fragte er, ob wir am Abend bei ihm und seiner Mutter essen würden. Ich erzählte ihm, dass wir als Zuschauer zu einer Aufzeichnung der SRF-Sendung 1 gegen 100 gehen würden. "Ich möchte auch mit", war Andreas Reaktion. "Kannst du zwei Stunden stillsitzen?" - "Ja." - "Bestimmt?" - "Ja." Tatsächlich hielt er durch. Mehr als das: Weil er als Siebenjähriger nicht im Fernsehen erscheinen durfte, wurde er von uns getrennt und in einer Art Loge platziert. Ich hätte darauf gewettet, dass er seiner Mutter, die uns begleitete, sagte, er möchte gehen. Aber nein, er lief der TV-Angestellten hinterher. Mein Patenkind überrascht mich immer wieder.

Andrea bringt seine Mutter regelmässig an ihre Grenzen. Schon als er in den Hort ging, weigerte er sich nicht selten, sich anzuziehen oder anziehen zu lassen. Manchmal hatte er keine Lust, irgendwohin zu gehen. Jetzt ist er in der ersten Klasse und hat schon ein-, zweimal die Schule geschwänzt. Einmal sagte er, ihm sei schlecht. Zu Hause ging es dann wieder.

Kennen Sie ein Kind, dem ADHS diagnostiziert worden ist? ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung und gehört zur Gruppe der Verhaltens- und emotionalen Störungen. Weil Andrea in der Schule Konzentrationsschwierigkeiten hat, wurde er auf ADHS abgeklärt. Noch liegen die Endergebnisse nicht vor. Die Psychologin hat schon mal gesagt, dass man wahrscheinlich nicht abschliessend sagen könne, ob er diese Krankheit hat. Seine Eltern müssen dann entscheiden, ob ihm Ritalin verabreicht wird. Obwohl es ihnen Sorgen macht, dass er sich in der Schule nicht konzentrieren kann, entscheiden sie sich wahrscheinlich dagegen. Als Andrea in die erste Klasse kam, konnten schon alle Kinder lesen und schreiben. Andrea hat es nie interessiert, das schon vor der Schule zu können.

Als er sah, dass ihm die anderen Kinder voraus waren, kam er sich dumm vor. Andrea freute sich nicht auf die Schule. "Wegen der Hausaufgaben", sagte er. Auch heute sieht er den Sinn von Hausaufgaben nicht ein. Andrea ist ein interessantes Kind. Es sollte möglich sein, einen jungen Menschen, der vieles in Frage stellt und nicht so fügsam ist wie andere, auch ohne Medikamente seinen Weg gehen zu lassen.


Rosmarie Schoop,
12.7.2018, 117. Jahrgang, Nr. 193.

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