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«Wandzeitung» vom 9.3.2018:

EIN SATZ:

Das einfache Leben.

Wer wird gewinnen? Titel eines Flyers.

Keine Angst, es geht nicht um die Wahlen. Ich nehme Rücksicht auf alle, die sich schon im Wahlkampf in einen winterschläfrigen Kokon zurückgezogen haben und spätestens jetzt nachhaltig ermüdet sind, wo die Wahlen analysiert werden und darüber spekuliert wird, welche Richtung die kleine, beinahe grosse Stadt nehmen wird. Sprich bzw. schreib: auf mich selbst.

Es geht um etwas in meinem Briefkasten, das keinen Absender trägt. Es ist doppelseitig, dicht und in fetter Schrift bedruckt und hat wohl deswegen keinen Platz dafür. Wer gedacht hat, dass Bleiwüsten in Zeiten von Formatvorlagen überwunden seien, sieht sich getäuscht. Ab und zu ist die typographische Emphase durch mager gesetzte Stellen unterbrochen. Es mag nicht überraschen, dass es sich um Bibelstellen handelt.

Inhaltlich ist es auch emphatisch. Es wird ein Zeichen des Bösen prophezeit. Von diesem Zeichen, das auf Griechisch Implantat bedeute, sei bereits in der Bibel die Rede. Die flächendeckende Einpflanzung eines RFID-Chips in alle Menschen sei dieses Zeichen und bedeute den Weltuntergang. Soll niemand sagen, dass die Verschwörungstheorien nicht mit der Zeit gehen. Abgesehen von der gewagten Übersetzung könnte man auch jedes Tatoo so interpretieren, und dann wäre das sichtbar Böse angesichts der herrschenden Mode schon recht verbreitet.

Wie einfach doch solche Erklärungen sind. Schlicht geniale Modelle, welche die Komplexität der postmodernen Welt auf gut und böse reduzieren und den Kampf darum, welche Seite gewinnen wird. Das ist das einfache Leben schlechthin. Davon träumen wir doch alle. Und sollten wir uns ab und zu an einen komplizierten Albtraum erinnern, dann war wohl das Wetter schuld an einem schlechten Schlaf. Ich muss die Urheber des Flugblatts insofern in Schutz nehmen, als auch andere Reduzierer im gleichen Krankenhaus liegen. Die Sozial- und Kriminalitätsdebatten zeigen dieselben Symptome.

Aber so einfach ist die Welt nicht. Und es soll auch niemand sagen, solche Einfachheit erleichtere das Leben. Die Mitglieder der Karawane in der Bleiwüste haben als Christen paradoxerweise eine Heidenangst: Sie könnten nicht gut genug sein, ihnen würde dann auch der Chip eingepflanzt wie uns Normalsterblichen, die sie retten wollen. Und herunter müssten auch sie, anstatt in den Himmel zu kommen. Gepiesakt vom teuflischen Mehrzack, penetriert von glühenden Stangen und was die blutrünstige Phantasie so hergibt. Sie erwachen, wenn sie überhaupt noch schlafen können, schweissgebadet. Die Bibelverse enthalten ein Mass an Vorschriften, dem kein Menschenleben genügen kann.

Da ist es mir lieber kompliziert. Auch so kompliziert, dass ich, wie Sokrates, nur weiss, dass ich nichts weiss. Einzig vielleicht, dass wir einfache Erklärungsmodelle getrost verwerfen dürfen.

Selbst in der Hölle haben sie nämlich die Heizung nicht immer im Griff, versagen die Spiesse und Stangen und haben sie vor allem ein unlösbares CO2-Problem. Wenn sie sie erhalten wollen, müssen sie die Temperaturen herunterfahren.


Adrian Ramsauer,
9.3.2018, 117. Jahrgang, Nr. 68.

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