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«Wandzeitung» vom 9.4.2018:

EIN SATZ:

Brauner Abgrund und rote Linien.

Kurz, der österreichische Premier, nannte auf die Frage nach seiner «roten Linie» das Strafrecht. Das geht nicht weit genug für den Regierungschef eines Landes mit problematischer Vergangenheit, meint die NZZ.

Immer wieder die Frage nach der Grenze. Besonders gern bei Personen, die der Nähe zur Rechten bezichtigt werden. Und damit die Frage der Ungleichbehandlung von Politikern und der übrigen Bevölkerung. Darf man an Volksvertreter andere Massstäbe anwenden als an das Volk?

Ich bin dagegen. Wer die demagogische Einteilung in «classe politique» und übriger Welt nicht akzeptieren will, darf auch den einleitenden Satz nicht akzeptieren. Er öffnet den Weg für eine Zweiklassengesellschaft. Wer von «denen da oben» in Bern, Zürich, im Stadthaus – neuerdings Superblock – oder sonstwo spricht und damit die Regierungen und Parlamente deklassieren will, ist in eine Falle gegangen. Jene nämlich, dass er von ihnen etwas anderes erwartet als von sich selbst. Denn er würde vielleicht nicht dieselben Fehler machen, aber zweifelsohne andere und würde damit andern, die mit dem Finger auf ihn da oben zeigen, nicht genügen. Und er hat es möglicherweise nicht einmal versucht, die Kärrnerarbeit für den Aufstieg nach «oben» in Angriff zu nehmen. Aber er masst sich an, seinen Massstab an die Kärrner anzulegen, die vielleicht bloss von sich selbst eingenommene, mehr oder weniger unfähige Narzissen sind. Aber wer sonst tut sich die Kärrnerarbeit an. Und er vergisst eine Gesamtwürdigung der kritisierten oder gar skandalisierten Persönlichkeit.

Nicht, dass ich die Freiheit der Kritik einschränken möchte. Ich bin aber der Meinung, dass in einer freiheitlichen, offenen Ordnung einzig die rechtlichen Linien die roten darstellen. Und wer sie nicht überschreitet, genügt. Er kann von mir aus in einen Shitstorm geraten. Aber auch der Shitstorm findet seine rote Linie am Recht: Beleidigung ist nicht.

Natürlich kann man eine Person abwählen. Auch das ist Freiheit, aber sie verfügt über keine erhöhte moralische Legitimation. Eine solche zu beanspruchen ist nichts als Heuchelei, aber die war schon immer recht verbreitet. Die postmoderne säkulare Welt orientiert sich nicht mehr an der Frömmigkeit oder – angesichts zunehmender religiöser Fundamentalisierung – noch nicht. Sie soll sich einzig am Recht orientieren.

Sie, liebe Leserin, lieber Leser an der Wand, werden einwenden, dass die Einhaltung des Rechts nicht genüge. Ich entgegne, dass Sie schon längst nicht mehr in der Lage sind, alle rechtlichen Regeln einzuhalten, weil Sie nur von einem Bruchteil Kenntnis haben und nur schon im Strassenverkehr permanent, wenn auch kleine Delikte begehen. Wenn Sie jetzt noch die rote Linie enger ziehen, dann wird es pervers.

Damit das Recht die rote Linie für das Zusammenleben aller Menschen – einschliesslich jenen, die der classe politique angehören – bleibt, bedarf es einer konsequenten Reduktion der Normfülle auf wenige, zentrale Grundsätze.

Dass die da oben schuld sind, dass das nicht gelingt, ist nur die Hälfte der Wahrheit. Wir alle sind es mit, weil wir vor jeder Unwägbarkeit des Lebens geschützt werden wollen. Und dabei seine Fülle aus den Augen verlieren.


Adrian Ramsauer,
9.4.2018, 117. Jahrgang, Nr. 99.

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