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«Wandzeitung» vom 25.4.2018:

EIN SATZ:

Requiem auf einen Kasten.

Die Schweine von heute sind die Schnitzel von morgen. UNBEKANNT zum Thema Vergänglichkeit.

Eines unschönen Tages in der kleinen, beinahe grossen Stadt, die wir alle gut kennen. Plötzlich war er verschwunden. Einfach nicht mehr da. Niemand wusste etwas, niemand sagte etwas. Einfach weg. Ein Prachtstück, elegant. Nicht grad muskulös zwar, aber stabil. Eine entsprechend grosse Lücke hinterlassend.

Wir vermissen ihn. Wir sind traurig. Nie mehr werden wir am Abend seinen Kopf streicheln und ihm etwas in den Mund legen. Nie mehr wird kurz nach halb halb sieben jemand hinter dem Bahnhof vorbeikommen, den passenden Schlüssel dabeihaben, seine Tür öffen, ihm das in den Mund gelegte herausnehmen und in die Welt tragen. Nie mehr wird sein charakteristisches Gelb schon von Weitem leuchten. Nie mehr wird er sich im Schatten der Allee wiegen, die kurz vor seinem Abgang gefällt wurde. Es bleibt ein Sockel mit zwei einsam in die Luft ragenden, abgesägten Metallpfosten.

Mit seinem Bruder, der überlebt hat, kann ich mich nicht anfreunden. Er steht auf einem hässlichen, betonierten Platz einsam vor einer Glasfront, hinter der Supplemente auf Sportler lauern. Und vor allem ist er eine halbe Wanderung weiter weg. Sein Onkel ist gar bloss ein Schlitz in der Wand der Hauptpost. Und dorthin ist es noch weiter.

Ich überlege mir, meinen Briefverkehr einzustellen und nur noch elektronisch zu kommunizieren. Aber ich bin in einem Metier tätig, in dem noch richtige Briefe geschrieben werden. Wenn auch in der Regel harte, in denen der Empfänger zum Tätigwerden oder Unterlassen gedrängt wird. Auch eine Faxmaschine rattert noch. Im übertragenen Sinne: Es kommt mit leisem Heulen ein Laserdruck aus dem Gehäuse.

Dem Kasten haben die harten Briefe nichts ausgemacht. Dem Empfänger schon eher. Auch seinem Pendant andernorts, wo Entsprechendes an mich eingeworfen wird, war es gleichgültig. Ob es ihm etwas ausmacht, nichts mehr in den Mund gelegt zu bekommen. Nicht mehr zu sein. Nie mehr zu sein.

Ob es ihm etwas ausmacht, dass niemand informiert wurde. Rundum ist doch alles perfekt bezeichnet. Jede Treppenstufe ist angeschrieben. Weil die Unterführung umgebaut wird, gibts für Millionen eine Passerelle. Und jeden Tag werden noch ausgeklügerte Umleitungen bis ins letzte Detail ausgeschildert. Samt ebenso häufiger wie erfolgloser Aufforderung an die Velofahrer, ihr Gefährt zu schieben. Dass man uns den Kasten nimmt, davon steht nichts und nirgends etwas. Ihn, dessen Vorgänger ein Kulturdenkmal ist, das im Museum für Kommunikation steht.

Ach ja, auch mein Büroschild wurde in Nacht und Nebel zusammen mit ein paar Sträuchern, die gefällt wurden, abmontiert. Es ist kein Kulturdenkmal. Dafür soll es wiederkommen. Ich habe es im Keller entdeckt.

Wo aber der Kasten ist? Möglicherweise noch mit dem Inhalt des Tags der Demontage, der nie zugestellt werden wird? Oder erst, nachdem der Kasten wieder aufgestellt ist? Vielleicht lagert er in einem Keller des service public. Denn auch der service public hat Keller, vielleicht mit Kästen oder gar Leichen drin. Man soll die Hoffnung nie aufgeben.


Adrian Ramsauer,
25.4.2018, 117. Jahrgang, Nr. 115.

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