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«Wandzeitung» vom 25.6.2018:

EINSPRUCH:

Depression.

Es ist ein grosses Glück, sich über die eigenen Politiker langweilen zu können» KONSTANTIN SEIBT IN DER «WOZ», 1999

Erste linke Krisensitzung nach den Wahlen. Es wird konstatiert, dass der böse rechte Feind wider Erwarten erstarkt ist. Allgemeines Jammern und Wehklagen. Nun gilt es, ihn durch kontinuierliche Manifestation politischer Unfähigkeit weiter zu stärken. Der grösste Erfolg der Sitzung war, dass es gelang, sich nach mehrstündiger Debatte darauf zu einigen, die Teilnehmer als Mitglieder und die Teilnehmerinnen als Mitfrauen zu bezeichnen. Man ging mit gestärktem Selbstbewusstsein auseinander. An der nächsten Sitzung waren halb so viele Personen wie an der ersten anwesend, dafür völlig andere. Das Thema Mitfrauen wurde nochmals vertieft und in eine Debatte übergeführt, in deren Verlauf nicht geklärt wurde, ob das Wort «Person», dessen Endung an die fremdsprachige männliche Form eines Nachfahrs anklingt, im Protokoll erscheinen dürfe. Offen blieb auch, ob das Phänomen Trump oder das Phänomen Weinstein in den USA politisch folgenreicher sei. Hingegen hielt man die Fundamentalkritik an den Managergehältern für endgültig überwunden. Freiwillig wurde das Engagement für eine Frauenquote in den Chefetagen erklärt, da diese Idee unterdessen von den Bürgerlichen kopiert worden sei. Man beschloss, sowohl dem «schrecklichen» Imperialismus als auch den «schrecklichen» sexuellen Übergriffen mit einem Schweigemarsch als Ausdruck politischer Radikalität ein Ende zu setzen. Man konnte sich jedoch nicht auf ein Datum (1. Mai oder Frauentag) einigen, bis die letzten auf die letzten Züge mussten. Dies tat aber der tiefen solidarischen Empfindung aller die auf die Bahnhöfe eilten, auf der richtigen Schiene zu sein, keinen Abbruch.

Dass die Linke traditionellerweise auf bestehende Machtverhältnisse reagiert, liegt in der Natur der Sache. An einer weiteren Sitzung waren nur noch eine Mitfrau und drei Mitglieder anwesend, wobei sich die Mitfrau von den Männern dominiert fühlte. Immerhin analysierten sie ebenso gemeinsam wie treffend: Schuld ist das dumme Wahlvolk, vor allem der männliche Teil, welches der Propaganda des bösen Feinds auf den Leim kriecht und einfach nicht überzeugt werden will, welches die richtigen Werte sind.

Die Erschütterung über diese grundlegende Erkenntnis endete in mehreren sozial und ökologisch unbedenklich produzierten Bieren und im festen Entschluss, eine neue Sitzung einzuberufen. Diese wurde dann wegen Erkrankung des nunmehr einzigen Teilnehmers vertagt.

Und so hat die Linke bis heute keine politische Idee. Das macht aber nichts, denn solange man sich darüber definiert, gegen die Schlechten und Rechten und damit auf dem rechten Weg zu sein, braucht man keine.


Adrian Ramsauer,
25.6.2018, 117. Jahrgang, Nr. 176.

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