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«Wandzeitung» vom 9.7.2018:

EINSATZ: Krise als Chance.

ESOTERISCHES GESCHWURBEL.

Aus allen Foren trieft es: Die angebliche Kraft des positiven Denkens. Jeden Misthaufen kann man zu einer Duftoase hinaufstilisieren. Alte Nörgler wie ich lassen sich davon nicht beeindrucken und bleiben nur schon aus olfaktorischen Gründen bei ihrer pessimistischen Weltsicht.

Manchmal gibt den alten Nörglern aber zu denken, dass sie im selben Boot sitzen wie die keifenden Shitstormer des sozialen Internetzes. Und sie sich damit in schlechtestmöglicher Gesellschaft, bei den anonymen Diffamierern nämlich.

Also geloben sie Besserung und nehmen den mehrtägigen Unterbruch des viertgrössten Bahnhofs des Landes so positiv, als es Nörglern gelingt. Obschon sie Stunden in einem Zug festsassen. Er ist ja auch schon eine Weile her und fast vergessen.

Freuten sich mit den Veltemern, dass tagelang keine geschlossene Barriere ihr Fortkommen aus dem Weinbauerndorf hemmte. Dass nicht sechsmal pro Stunde bei Schrankenschliessung ein öder Gong das Quartier flutete. Und eine Wochenende lang kein einziger Zug durchs Dorf brauste.

Freuten sich mit den Vögeln, dass nichts ihre Sitzung auf den Fahrleistungsmasten störte und sie zum Auffliegen nötigte. Freuten sich mit den Lärmgeplagten, denn über allen Drähten war Ruh. Freuten sich mit den Elektrosensiblen, dass kein Kriechstrom an ihrem Nervenkorsett knabberte.

Freuten sich über das Doppelstöcker-Postauto am Bahnhofplatz, das sonst über die Serpentinen der Passstrasse auf die Schwägalp kurvt. Damit es nicht zu sehr Heimweh nach den Bergen haben musste, bekam es die Route nach Oberwinterthur zugeteilt.

Freuten sich über Busse statt Bahnen aus Schaffhausen, St. Gallen, Zürich oder gar Sommeri im Thurgau in der kleinen, beinahe grossen Stadt, die wir alle gut kennen. Konnten gar nicht verstehen, dass ein gestresster Dispatcher die Busse füllen wollte und die Fahrer anschrie, wenn sie halbleer abfahren wollen. Wo es sich doch in schwach besetzten Verkehrsmitteln so viel angenehmer reist. Weshalb die alten Nörgler zu Recht sagen, dass es nicht jedermanns Sache ist, sein Leben in vollen Zügen zu geniessen. Alte Nörgler haben immer Recht. Und sie sattelten damals ihr Bike und fuhren damit über Land.

Freuten sich über ein vielfältiges Informationsangebot. Die SBB gab im Internetz mehrere divergierende Angaben, ob was fuhr und wohin. Fahrplan-App und Abfahrtsanzeigen widersprachen sich herrlich. Es herrschte wie auch sonst die normative Kraft des Faktischen: Den Bahnersatzbus in die Grüze gab es nicht. Der Nörgler wurde aber fast von einer Menschenmenge überrannt, die über die Strasse hetzte, um ihn zu erreichen.

Freuten sich aber nicht so ganz darüber, dass sich die Einsatzkräfte der Bahn vor einem Flipchart nur den Kopf kratzen und lange, lange keine Lösung hatten. Freuten sich auch nicht darüber, dass keine Dieselloks die Züge durch den Bahnhof schoben, wo doch nur der Strom ausgefallen war.

Alte Nörgler eben.

 


Adrian Ramsauer,
9.7.2018, 117. Jahrgang, Nr. 190.

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