Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 23.2.2018:

Wenn der Raum auseinander fällt, folgt meistens auch der Tod:

Bienen sterben nicht allein.

Wir hatten den wärmsten Januar seit chronologischer Temperaturmessung. Ende Januar und anfangs Februar blühten die Haselsträucher. Normalerweise blüht der Hasel im März. Seine Pollen sind die umfassendsten, ersten und weit verbreiteten Nahrungsgrundlagen für die Bienen. Üblicherweise teilen sie sich den Raum in der Natur. Doch dieses Jahr gelingt der Zeitsprung nicht. Wenn die Bienen fliegen, sind die Haselpollen weg. Für die ohnehin von Viren geplagten Bienen wird das Frühjahr einen zusätzlichen Stress bringen. Das Grundnahrungsmittel fehlt für die gesamte Flugenergie, Bestäubung und Wabenbildung in den Stöcken.

Die Zeit spielt im Leben eine untergeordnete Rolle. Es ist der Raum, den wir gemeinsam teilen, der uns zu Blüten bringen kann. Die Zeit ist für uns Menschen ein Hilfsmittel, um uns räumlich zu koordinieren oder wahrzunehmen, wenn eine Krise bevorstehen kann. Das körperliche Leben spielt in Räumen seinen Tanz. Ganz nach dem Prinzip der Relativität findet alles Leben gleichzeitig und überall statt. Doch ist es ein Irrtum zu glauben, wir könnten gleichzeitig Verschiedenes tun und unser Leben teile sich nach der Zeitagenda ein. Wenn wir die Zeit zum alles sich regelnden Massstab setzen, erzählen wir zwar, dass im Januar die Hasel blühten und im März die Bienen fliegen. Was kümmert uns der fehlende Raum? Die Kälte liess zwar Krokus blühen, aber keine Bienen fliegen. Es war die Temperatur, die den Hasel und die Bienen auseinander riss. Die Antwort vieler auf dieses Phänomen, nämlich: "Es wird bestimmt nochmals kalt", deutet auf eine Sinneserkenntnis, die vergisst, dass ohne Bienen auch wir Menschen sterben. Wir sind uns gewohnt, unser Leben in Jahren zu messen. Es gibt nur ganz wenige Menschen, die es schaffen, Jahrzehnte im Gefängnis zu verbringen, um dennoch – nach räumlich langer Zeit – ihre Stimme zu behalten. Zu den bekanntesten in neuerer Geschichte zähle ich Vaclav Havel, den ich persönlich kennen durfte, aber auch Nelson Mandela und weitere gehören dazu.

In der Schweiz kann man Friedrich Dürrenmatt erwähnen. Er sass zwar nicht im Gefängnis, doch kennt die Demokratie andere Methoden, um die Gesinnung von Menschen zu isolieren. Giordano Bruno sass acht Jahre in Haft und wurde freigelassen, um ihn im Namen der Inquisition im Februar 1600 öffentlich zu verbrennen. Ihm war es nicht vergönnt, nicht zu widerrufen und nach der Haft seine Kosmologie zu lehren. Anders verhielt sich Galileo Galilei: Er widerrief unter Hausarrest, so dass wir heute noch mit einer christianisierten Kosmologie zeitlichen Schabernack betreiben. Hätten ein Havel und Mandela sich der Zeit gebeugt und ihre Gesinnung verraten, hätten sie vorauseilenden Gehorsam geleistet und keine Verantwortung für das Antlitz der Welt übernommen; wären sie nicht freundlich in ihrer Sprache geblieben und hätten sie nicht an die Wahrheit geglaubt; wir wüssten heute nichts von ihnen.

Bienen sterben nicht allein. Deshalb müssen wir Menschen Zeichen setzen, Blickkontakt aufnehmen und uns mit anderen unterhalten; auf gefährliche Wörter achten und physisch Politik betreiben. Nur so kann es uns gelingen, das wahre Leben zu gestalten.


Heiner Dübi,
23.2.2018, 117. Jahrgang, Nr. 54.

Artikel als PDF downloaden

Standpunkte:

24.2.2018, 09:27 Uhr.

Haymo Empl schrieb:

Hoffentlich bringen diese wichtigen Gedanken viele Menschen zum Nachdenken, über das, was in unserer heutigen Zeit so falsch läuft.


Veröffentlichen Sie Ihren

Standpunkt*:

Verbleibende Zeichen: 777 von 777

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.