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«Wandzeitung» vom 4.5.2018:

Vorsommer beidseits der Alpen.

Kurze Auszeit.

Die ersten Mehlschwalben sind da! Sie sausen durchs Quartier. Wie jeden Frühling hoffe ich auch heuer, dass sich einige Paare unsere Nistkästen als Zuhause aussuchen. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, sagt der Volksmund, viele Mehlschwalben aber schon. Es ist herrlich, Quitten- und Apfelbaum stehen noch in voller Blüte, ab und zu finden sich sogar Bienen. Wenige zwar, aber immerhin. Das Leben fühlt sich wieder leichter an. Trotz des wunderbaren Wetters hier fuhren wir ein paar Tage in den Süden, Como war unser Reiseziel. „Warum gerade Como?“, wurden wir gefragt.

Immer wenn wir mit dem Zug nach Italien reisen, heisst der erste Halt nach der Grenze: Como, San Giovanni. Jedes Mal erblicken wir den glitzernden See und erhaschen einen Blick auf die Altstadt und das Funiculario im Hintergrund. Es klingt schön: Como, San Giovanni. Diesmal stiegen wir aus. Auch hier prächtiges Wetter. Viele Menschen waren unterwegs, genossen den vorgezogenen Sommer. Wir flanierten zum See, durchquerten einen Park und standen vor der Gedenkstätte für den europäischen Widerstand gegen das NS-Regime, dem Monumento alla Resistenza Europea. Es ist eindrücklich, stimmt nachdenklich. Wie gut, dass wir uns ab und zu daran erinnern, welch dunkle Zeiten in Europa noch vor kurzer Zeit herrschten. Auf Stahlplatten sind Passagen aus den letzten Briefen von zum Tode verurteilten Widerstandskämpfern und -kämpferinnen grafiert. Plus eine Auflistung verschiedener Konzentrationslager.

Wenige der Touristen betrachteten das Denkmal, die meisten zog es an den Quai, in die Gelaterias, Richtung Altstadt zum Apéro. Um das Denkmal herum standen und sassen verschiedene Gruppen farbiger Menschen in abgetragenen Kleidern. Sie plauderten, hörten Musik, warteten, schlugen die Zeit tot. Manche versuchten, kleine Gegenstände zu verkaufen oder bettelten.Was ich verdrängt hatte, fand ich später im Internet:

Como ist Endstation für Flüchtlinge auf dem Weg nach Norden. Nach hier werden sie zurückgeschafft, wenn sie versuchen, in die Schweiz einzureisen. Sie kamen übers Meer, haben überlebt, sind nun innerhalb der Festung Europa und müssen im Einreiseland bleiben, so will es Schengen. Am nächsten Tag besuchten wir den Markt ausserhalb der Stadtmauern. Vor allem Textilien wurden angeboten, nebst Kinderspielsachen und Küchengeräten. Vieles im einstelligen Eurobereich. Lauter Schnäppchen, sozusagen.

Verkauft wurden die Waren zu einem kleinen Teil von Einheimischen, häufig aber von Migrantinnen und Migranten, ab und zu wohl auch von Flüchtlingen. Wie viele der angebotenen Waren wohl da produziert wurden, wo diese Menschen herkommen? Zu Bedingungen, die mit dazu führten, dass sie ihr Zuhause, ihre Heimat verliessen und sich in Europa eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder erhofften? Eine Gesundheitsversorgung, Existenzsicherung, ganz grundsätzlich ein Dach über dem Kopf, das nicht aus Wellpappe besteht? Hätte ich an ihrer Stelle gleich gehandelt, wenn ich nicht zufälligerweise in der Schweiz geboren wäre? Was tun?

Wieder Zuhause habe ich die Petition des HEKS unterschrieben: “Für sichere und legale Fluchtwege in die Schweiz.“


Marlies Bänziger,
4.5.2018, 117. Jahrgang, Nr. 124.

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