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«Wandzeitung» vom 8.3.2018:

immer länger, immer besser?

von der lehrerbildung.

nun geistert wieder einmal die idee durch die bildungslandschaft, es dränge sich eine verlängerung der lehrerbildung auf. momentan dauert sie für primarlehrkräfte an der pädagogischen hochschule drei jahre, und zwar ab matur. wenn es noch weiter geht, werden sie graue haare haben, bis sie das erste mal vor einer klasse stehen dürfen. aber was soll’s, es gibt ja unterdessen täuschend echt wirkende haarfarben.

in den 1960er-jahren dauerte die fachausbildung am oberseminar ein jahr und vor 1938 war sie in das vierjährige seminar integriert. wir ließen uns seinerzeit von einem pensionierten lehrer erzählen, wie er in der woche vor seinem ersten stellenantritt bei einem kollegen rat einholen musste, um seinen ersten tag mit der klasse gestalten zu können.

der große pestalozzi, als er sich 1799 ins kriegszerstörte stans schicken ließ, um sich der herumstreunenden waisenkinder anzunehmen, wies das angebot zurück, dass ihm fachkräfte zugesellt würden, und nahm bewusst nur eine magd mit, die ihm bei der betreuung der verwahrlosten kinder zur seite stand. er wollte die schule neu erfinden und aus dem eingefahrenen trott der auswendigschule ausbrechen. seine erfahrungen waren wegweisend.

sind meine beobachtungen richtig, dass die heutigen lehrpersonen die meiste zeit ihrer unterrichtsvorbereitung damit verbringen, in den lehrmitteln – dicken bundesordnern – arbeitsaufgaben auszuwählen und dann die mitgelieferten regieanweisungen zu studieren? nichts da von selbstgemachtem, für die eigene klasse zugeschnittenem. was bringt eine lange ausbildung, die der praktischen erfahrung vorangeht? nehmen wir als beispiel den sprachunterricht. gemäß dem wort sollte dabei die sprachfähigkeit geschult werden, und das kann ja wohl nur durch den sprachgebrauch geschehen. dass aber im sprachunterricht unserer schulen vor allem die lehrperson zu wort kommt, das war meine behauptung. ich wollte es wissen und machte ein experiment. ich besuchte primarklassen – im einverständnis mit den betreffenden lehrerinnen und lehrern und im wissen der behörden und der elternschaft – und machte tonaufnahmen von sprachlektionen. ich bat ausdrücklich um lektionen, in denen die kinder «zu wort kommen sollten», und ich suchte dafür bewusst lehrkräfte aus, die mir als kompetent geschildert wurden. ich besuchte insgesamt zwanzig lektionen in zehn klassen. mit einer einzigen ausnahme ergab die auswertung: die lehrperson sprach quantitativ drei bis vier mal so viel wie die gesamtheit der jeweiligen schulklasse, also hundert mal mehr als durchschnittlich das einzelne kind. glaubt jemand, so lasse sich die sprache schulen?

ob es an der ausbildung liegt? ich suchte das gespräch mit einem dozenten für sprachunterricht an der pädagogischen hochschule. er legte mir sein skript vor, und aufgrund dieses papiers hätte mir das herz lachen können. nun wies ich ihm meine ergebnisse vor, und was sagte er dazu? es stimmt, sagte er, in diesem bereich sind die studierenden ziemlich resistent: sie unterrichten so, wie sie seinerzeit von ihren lehrern unterrichtet worden sind.

 


Alfred Vogel,
8.3.2018, 117. Jahrgang, Nr. 67.

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