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«Wandzeitung» vom 9.11.2014:

Absurd:

Ist Blancho der Guru der Jihadisten?

Eine befreundete Vegetarierin hat mir mal erzählt, dass sie immer extra betonen muss, dass sie nichts gegen Leute hat, die Fleisch essen, weil man sie sonst verdächtigt, eine intolerante Tieraktivistin zu sein. Man könnte es den Vegi-Effekt nennen. Er greift auch bei Muslimen. Besonders wenn der Moslem ein Konvertit ist mit langem Bart und vielen Frauen. Dann muss er sich bei jeder Gelegenheit von Extremisten und Terroristen abgrenzen, um zu beweisen, dass er selbst keiner ist. Nicolas Blancho, der Präsident des Islamischen Zentralrats Schweiz beugt sich diesem Diktat kein bisschen und wird entsprechend als Fundamentalist verteufelt. Das Traurige daran ist, dass wir auf diese Weise nie etwas wirklich Wahres oder Wesentliches von Nicolas Blancho und seiner Organisation erfahren werden, weil jegliche mediale Berichterstattung auf Angriff und Gegenangriff ausgerichtet ist. Dies zeigte ein TV-Gespräch zwischen Roger Schawinski und Nicolas Blancho sehr eindrücklich.

Man muss Roger Schawinski lieben für seine unvergleichlich menschliche Art gegenüber Interviewpartnern, doch das Gespräch mit Nicolas Blancho entbehrte von Anfang an jeglicher Sachlichkeit. Schawinski hatte sich offensichtlich zum Ziel genommen, zu beweisen, dass Blancho in Wirklichkeit mit der IS sympathisiert. Das Unterfangen scheiterte kläglich. Unerträglich abgegriffen war etwa die Frage, wie viele Kirchen es in Bahrain gebe. Wie oft hatte ich bei Diskussionen um die Minarett-Initiative dieses lächerliche Argument gehört. Warum sollten wir uns mit Ländern vergleichen, die in Sachen Religionsfreiheit viel rückständiger sind als wir? Und dann die absurde Aufforderung, Blancho solle in die TV-Kamera sprechen und junge Schweizer Muslime davon abhalten in den Jihad zu ziehen. Als wäre Blancho der Guru dieser Jihadisten! Was für eine Verharmlosung und Vereinfachung dieses Phänomens! Ich bin froh, dass Blancho sich geweigert hat. Man kann von ihm halten was man will, aber ihn dazu aufzufordern sich öffentlich gegen den Jihad zu engagieren ist extrem herablassend und führt den Aufgeforderten in eine unmögliche Situation. Wie wenn man dazu aufgefordert wird, sich zu entschuldigen und es dann tut. Es wirkt dann eh nicht mehr ehrlich, auch wenn es ehrlich gemeint wäre.

Blancho vor dem TV Publikum blosszustellen und ihn des Extremismus zu überführen, ist ein sehr langweiliger Gesprächsansatz. Denn als Zuschauerin interessiert es mich ja nicht zu erfahren, was Schawinski über Blancho denkt, sondern was Blancho denkt. Natürlich hat sich Blancho bei vielen Fragen herausgeredet, aber die Fragen waren tatsächlich oft sehr plump und tendenziös. Interessant wäre es gewesen zu erfahren, ob und wie man als praktizierender Moslem auf diesen Krieg reagieren muss.

Es gibt 1,5 Milliarden Muslime auf der Welt und ich glaube die wenigsten können sich mit der IS identifizieren. Man kann den Krieg in Syrien nicht auf den Islam reduzieren. Er ist weitaus komplexer und wie alle Kriege mit zahlreichen Interessen verknüpft. Die mediale Berichterstattung scheint dieser Komplexität leider oftmals nicht gerecht zu werden.


Anita Blumer,
9.11.2014, 113. Jahrgang, Nr. 157.

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